Autorin: Charlotte Roche
Erscheinungsjahr: 2011 (Piper Verlag)
Genre: Slice of Life
"Jedenfalls bleibe ich bei meinem Mann, bis ich sterbe, würde es aber gerne, bevor ich sterbe, hinkriegen, dass ich nicht heimlich, sondern erlaubt, ganz legal, wie früher bei den Hippies, mit einem anderen Mann schlafen darf. Oder auch: mit dem einen oder anderen Mann! Ich möchte das gerne tun, mit so wenig schlechtem Gewissen wie möglich. Ich stelle mir vor, dass das schlechte Gewissen, beim heimlich Machen, alles versaut. Das will ich nicht. Ich möchte gerne frei sein dabei und, während ich endlich mal einen anderen Schwanz in mir habe, die ganze Zeit denken: Ich darf das. Ich habe den coolsten Mann der Welt, er hat es mir erlaubt."
Von der ehemaligen VIVA Moderatorin zur Kultautorin. Der Werdegang der Charlotte Elisabeth Grace Roche kann nur als Phänomen der aktuellen Popkultur bezeichnet werden. Genau so ihr Debüt, Feuchtgebiete. Feuchtgebiete ist nämlich ein Phänomen der deutschen Literatur. Auch wenn jeder es verleumdet oder angewidert nach der dem lesen der Lektüre ist, fast jeder hat es gelesen. Gebt es ruhig zu. Ein Millionen-Bestseller, der auch knapp 3 Jahre nach seiner Erscheinung immer noch gelesen wird und sich einfach hervorragend verkauft. Roche traf und zerstörte mit ihrer Satire die Scham der Bewohner der Bundesrepublik und alle wollten sich am liebsten wieder unter ihren Bettdecken in ihren heiligen, privaten Schlafzimmern verkriechen. Und eigentlich wollte ich mir all das gar nicht antun. Bis ein Freund mir irgendwie das Hörbuch schmackhaft machte. Auf mich wartete eine Zugfahrt von Dortmund nach Bonn. Ich gab dem ganzen eine Chance. "Feuchtgebiete: Gelesen von Charlotte Roche". Andere könnten genervt von ihrer emotionslosen Stimme sein, mich begeisterte die Gleichgültigkeit in ihren gesprochenen Worten jedoch. Als ob sie dort über tatsächlich alltägliche Dinge spricht. Einfach fantastisch (vielleicht habe ich auch nur einen verschrobenen Geschmack). Roche's Stimme wiegte mich sogar in den Schlaf. Denn jede Nacht, in meiner Kölner Unterkunft, bevor es wieder zurück nach Bonn ging, hörte ich immer noch ein Kapitel im Bett. Nun, vielleicht weniger interessant, aber dies ist meine persönliche Geschichte wie ich zu diesem außergewöhnlichem Buch kam.
Obwohl es viele Momente gab in Feuchtgebiete, die ich, selbst für meine Verhältnisse, ziemlich pikant fand, war ich sehr begeistert. Es war pure Unterhaltung für mich. Daher war ich auch im Gegensatz zu vielen anderen sehr angetan davon, als ich hörte ein Nachfolger würde erscheinen (erfuhr ich erst kurz vor der Veröffentlichung des neuen Buches). Schoßgebete würde es heißen. Klingt ja fast wie Feuchtgebiete. Darin ist sie gut, in absurden Wortkreationen. Und wie es nicht anders zu erwarten war, Schoßgebete erreichte schon vor der eigentlichen Erscheinung Platz 1 der Amazon Bücher und Belletristik Charts. Da muss eine enorme Summe im Spiel gewesen sein. Sowohl für die Autorin als auch für den Verlag. Nahm sich bei Feuchtgebiete noch der DuMont Verlag Roche an, tat dies nun der renommierte Piper Verlag. Dieser ist nun nicht unbedingt bekannt dafür das er solche Werke publiziert. Aber wer will sich schon Millionen entgehen lassen? Mit 16,99 Euro für eine Broschur hat man dann gleich noch die Hardcover kosten gespart. Dazu gab es noch eine Rekord Startauflage von 500,000 Exemplaren. Und ich bin mir sehr sicher, der Piper Verlag wird diese längst losgeworden sein, denn Schoßgebete hat es sich bereits unter den Spiegel Bestsellern gemütlich gemacht.
So viel zum Hintergrund. Was kann Schoßgebete denn nun? Oder besser gesagt, was kann Schoßgebete nicht? Also, entgegen meiner Erwartungen ist das Buch längst nicht so kontrovers wie Feuchtgebiete. Es gleicht viel mehr einer Therapiesitzung beim Psychiater. In Treatment im Buchformat. Charlotte Roche versprach nicht zu viel als sie in einem Interview meinte das Buch sei ihr persönlicher Seelenstriptease. Es sei ihr persönlichstes Werk. Biografische Elemente soll es erhalten. Und ich war hin und her gerissen am Ende. Soll ich Schoßgebete nun gut finden? Oder es doch lieber in die Ecke werfen? Vielleicht wäre ein Mix aus beidem ganz gut. Wobei Möglichkeit Zwei wäre nicht so toll, denn das große Taschenbuch war ja ziemlich teuer.
Auf eine Art war ich wieder einmal begeistert von Roche's fantasievollem Schreibstil. Mal ernst, mal lustig, mal süß. Auf der anderen Seite habe ich manchmal gedacht, ich könnte selbst eine Therapie gebrauchen wenn ich noch ein paar Zeilen mehr lese. Viele Teile im Buch sind ziemlich anstrengend. Und nur sehr selten habe ich die fiktive Elizabeth vor mir gehabt, als viel mehr die Autorin selbst. Stets habe ich mich gefragt was nun reine Fiktion ist, und was tatsächlich in ihrem Leben passierte.
Ein Geheimnis ist es nun nicht, denn die meisten dürften es wissen. Bei einem Autounfall sind Roche's 3 Brüder ums Leben gekommen. Das war auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Ihre Mutter ist gefahren. Sie und die Freundin ihres ältesten Bruders überlebten. Sicher ist, ihre Mutter überlebte und ihre 3 Brüder bei dem Unfall starben. Roche versucht auf ihre Weise, mit dem Thema abzuschließen. Und auch abzurechnen. Mit der Bild Zeitung zum Beispiel. Doch an dieser Stelle, so brillant sie das ganze auch verfasst hat (ihre Vorstellung das ihre verstorbenen Brüder immer noch Leben und nun ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit in einem belgischen Wald leben), fragte ich mich: Möchte ich das wirklich wissen? Möchte ich solch einen tiefen Einblick in das Leben der Charlotte Roche bekommen? Und viel wichtiger: Hat sie denn überhaupt keine Hemmungen, all das von sich zu erzählen? Die Geschichte wurde von Seite zu Seite finsterer und depressiver. Enthielt bereits Feuchtgebiete autobiografische Elemente, hat Roche es diesmal nicht ganz geschafft, diese auch wirklich leicht dem Leser zugänglich zu machen.
Schoßgebete handelt von einer hoffnungslosen Frau in ihren Dreißigern. Sie erzählt aus drei Tagen ihres Lebens (Dienstag bis Donnerstag). Sie sieht kein Sinn mehr in ihrem Leben und lebt nur noch für ihre Tochter Liza und ihren Mann Georg (der Schorsch). Der einzige Ausweg scheint der Freitod. Besser gesagt, sie rechnet sogar fest damit, bald zu sterben. In ihrer Phantasie stirbt ihre kleine Tochter und ihr Mann tagtäglich. Elizabeth ist keine Frau, die noch einmal schlechte Nachrichten in ihrem Leben hören will. Nie wieder will sie Leid und Schmerz ertragen müssen. Daher ändert sie auch im Jahr mehrmals ihr Testament. Sie will sich so gerne ändern, das Leben wieder genießen, aber es gelingt ihr einfach nicht. Jahre der Therapie bei ihrer Psychiaterin Frau Drescher erleichtern ihr das Leben jedoch etwas. Lediglich der Sex, und die Gedanken an Sex, gestalten ihr Leben noch einigermaßen unterhaltsam und lenken sie von den trostlosen Gedanken ab. Wenn man dies so liest, ist Elizabeth das komplette Gegenteil ihres Teenager Gegenstücks aus Feuchtgebiete. Allerdings ist es auch möglich, dass die kleine Helen Memel aus Feuchtgebiete nun erwachsen geworden ist. Die jugendliche Naivität ist abgelegt. Doch egal von welcher Protagonistin ich spreche, ob Helen Memel oder Elizabeth Kiehl, hinter all diesen Masken steckt die echte Charlotte Roche. Und diese gewehrt uns einen tiefen Einblick in ihr Leben. Meiner Meinung nach schon wieder einen zu tiefen Einblick. Man fragt sich des öfteren, welche Charlotte Roche die Echte ist. Die im Fernsehen lächelnd und charmant Interviews gibt, dem Bundespräsidenten Sex anbietet, oder die Charlotte Roche aus ihren Romanen. Eine zutiefst depressive Frau, dem Tod gefährlich nahe. Vermutlich ist sie sogar niemand von all diesen Charakteren.
Der sehr experimentelle Schreibstil hat mir wieder einmal sehr gut gefallen. Es gibt erneut zahlreiche Wortkreationen, die mir wahrlich ein Lächeln auf die Lippen zauberten. So provokant wie der Vorgänger ist Schoßgebete jedoch nicht.
Ein bisschen wird sich vielleicht jeder selbst in dem Roman wiederfinden. Zwar ist alles in Schoßgebete ein wenig überzogen, doch Roche dürfte das Familienleben in Deutschland ganz gut beschrieben haben. Sie will all das besser machen, was ihre Mutter in ihrer Kindheit falsch gemacht hat. Elizabeth will sogar so weit gehen, das ihre Tochter durch all die Vorschriften eine gewisse Abneigung gegen sie entwickeln wird. Getrunken wird nur Mineralwasser, eingekauft nur Bioprodukte, und nie, niemals McDonalds. Kein Minibisschen. Dann wünsche ich mal Guten Appetit.
Ich könnte ein kleines Buch im A6 Format füllen nur um Schoßgebete zu besprechen. Was ich mir alles vornahm zu schreiben hat es zu knapp 80% gar nicht in meine aktuelle Rezension geschafft. Ich wiederum kann mich immer noch nicht entscheiden ob ich nun enttäuscht sein soll oder doch irgendwie begeistert.
Aber genug geschrieben. Als Fazit kann ich nun aber schreiben, Schoßgebete hat mir gefallen, es fehlte mir jedoch auch das gewisse "Etwas". Als eine Beichte, ein Geständnis einer sündigen Frau funktioniert Schoßgebete jedoch erstaunlich gut. Roche's misanthropische Gedanken können einen manchmal zwar ziemlich beanspruchen, doch man kann es auch als besonderen Stil sehen. Inwieweit dieses Geständnis auf knapp 300 Seiten nun fiktiv ist, und was wirklich der Wahrheit entspricht, dies wird die Autorin wohl immer für sich behalten. Als Leser geht mich das jedoch alles nichts an. Zumindest kommt man, nachdem man den Roman gelesen hat, auf folgende Erkenntnis: Monogamie ist ein Mythos, eine Partnerschaft basiert lediglich darauf, das der eine auf den jeweils anderen scharf ist und Anglizismen sind Fucking Awesome.
Guter Beitrag. Man kann ahnen, warum du die Bücher magst. Der Hintergrund über den Autounfall war für mich allerdings neu.
AntwortenLöschenBevor ich aber weiterrede, muss ich zugeben: Ich mag Charlotte Roche nicht und habe auch keines ihrer Bücher gelesen. Mich haben die Romane nicht interessiert. Sowohl vom Inhalt als auch von der sprachlichen Gestaltung.
Deswegen ist es mir auch fragwürdig, warum der neue Roman so gehypt wird. Vielleicht kann mich jemand aufklären? Nur weil kontroverse Themen angesprochen werden?
Ich habe oft das Gefühl, man kauft mit dem Buch von Charlotte Roche nur ihr Image und keine Geschichte. Genauso wie es bei Sarrazin oder Dieter Bohlen war (das ist ja auch schon ewig her ^^).
Liest sich denn das ganze Buch so, wie der kurze Textauszug am Anfang deiner Rezension? Ich fand es schwer zu lesen, da der Lesefluss nicht wirklich da ist. Die Sätze sind äußerst Fragmentarisch.
PS: Der Kommentar klang hoffentlich nicht zu Anti ;D
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AntwortenLöschenHey! ^^ Du hast die Mail nicht bekommen? Ich habe deine gelesen und den nächsten Tag geantwortet. Thunderbird sagt mir auch, dass sie verschickt wurde. Jetzt habe ich dir gerade dieselbe nochmal geschickt. Schau mal nach, ob sie jetzt in deinem Postkasten liegt.
AntwortenLöschenIch dachte, du wärest wieder beschäftigt, dass du nicht zurückschreibst ^^ Gut zu wissen, dass du nichts bekommen hast, sonst hätten wir wohl weiter geschwiegen.
Ja, durch Empfehlungen liest man oft Sachen, die man eigentlich nicht im Blick hatte. So wie auch bei "Alles was wir geben mussten". Ohne dich hätte ich das auch nie gelesen!
Aber bei Schoßgebete bin ich mir echt unsicher, da es mich auch nicht weiter anspricht. Trotzdem interessant, dass du einen Zugang zu dem Buch gefunden hast. Zumindest zum Ersten. Was das flüssige Lesen angeht, werde ich wohl nochmal die ersten Seiten überfliegen, um einen Eindruck zu bekommen. Ich fand es bisher zu kompliziert. Aber das kann auch subjektiv sein, da Roche sich ja sehr umgangssprachlich ausdrückt.
Also, vielleicht ist die Mail ja jetzt bei dir angekommen ^^ Schau mal nach. Wünsche dir noch einen schönen Start in die Woche!
Schöne Rezension! Ich habe das Buch auch erst vor kurzem gelesen (und rezensiert) und bin, glaube ich, zu einem ähnlichen Schluss gekommen, wie du. Irgendwie fand ich das Buch unterhaltsam, irgendwie fand ich es aber auch nicht herausragend, teilweise war es anstrengend zu lesen und ich fragte mich, inwieweit das alles nun autobiografisch ist. Und das hat mich letztlich am meisten an dem Roman interessiert: Der autobiografische Aspekt. An Charlotte Roche und dem Hype um ihre Bücher hatte ich eigentlich nie wirklich Interesse. "Schoßgebete" habe ich auch nur gelesen, da ich es in einer Mängelexemplar-Kiste gefunden habe und mir dachte: "Na gut, warum nicht?"
AntwortenLöschenBevor ich das Buch gelesen hatte, wusste ich auch gar nicht, dass ihre Familie so einen tragischen Verlust durchleben musste. Während des Lesens hatte ich im Internet mal etwas recherchiert und war geschockt, dass ihr das wirklich so passiert ist. Hätte ihr Roman keinerlei autobiografischen Hintergrund, würde ich ihn wohl kaum ansprechend finden. Aber so fand ich das alles irgendwie interessant, diesen Seelenstriptease um bekanntermaßen wahre Fakten und das Rätseln, was wohl sonst noch wahr sein könnte und was nicht.
LG
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