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Freitag, 14. November 2025

Kill Bill: Rache wird auch nach zwei Jahrzehnten immer noch am besten kalt serviert

 



„Look Quentin, here's the thing, man. My Uncle Artie would love this movie. I mean, he would love it. He wouldn't love it at 4 hours.“


Die Gerüchte oder viel mehr nie manifestierten Pläne zur "Whole Bloody Affair" von Kill Bill sind beinahe so alt wie die Filme selbst. Tarantino hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, die Filme als einen Film geschrieben und an einem Stück gedreht zu haben und das Gesamtwerk gerne als einen einzigen Film veröffentlicht hätte. Dies war aber nie wirklich umsetzbar, teilweise war ein vierstündiger Film ja nicht einmal bei Peter Jacksons Herr der Ringe Spielfilmtrilogie im Kino möglich. Anders aber als bei der Ring-Trilogie, wo relativ zügig Langfassungen nachgereicht wurden, ist Tarantinos großer Wunsch, sein blutiges Magnum Opus als einen kompletten Film zu zeigen, nie in Erfüllung gegangen. Zum Unmut vieler Fans, denn im laufe der Jahre sprach Tarantino immer wieder von seinen Plänen, Kill Bill endlich so zu zeigen, wie er sich das immer gewünscht hatte. Und es wäre ja nicht nur dabei geblieben, die beiden Filme zusammenzuschneiden. Diverse Szenenabläufe wären anders gewesen (der Film würde zum Beispiel mit der Braut um Auto starten, die über ihre finsteren Rachepläne in einem Monolog philosophiert und dem Zuschauer haarklein erklärt, was sie vor hat), sämtliche Zensuren für das R-Rating, die in der japanischen Fassung für den japanischen Markt rückgängig gemacht wurden, hätten ebenfalls ihren Weg in den Film gefunden. Die komplette Anime-Szene, die von Production I.G. einige Zeit nach dem Film noch erweitert und fertiggestellt wurde, hätte ihren Weg in den Film gefunden und wer weiß, was Tarantino am Schneidetisch noch alles gefunden hätte.

Um es kurz zu machen: Über 20 Jahre später wird das nun zur Realität. Leider aktuell nur für Zuschauer aus den USA. Aus Liebe zum Kino wird mit einer Laufzeit von fast 5 Stunden diese exklusive und Unrated "Whole Bloody Affair" Fassung mit all den gerade genannten Extras in amerikanischen Kino auf 70mm Filmband laufen. Ein Grund zur Freude, ein Grund, enttäuscht zu sein. Jeder weiß, wie strikt Tarantino hier agieren kann. Die Japan-Fassung von Kill Bill Vol. 1 blieb exklusiv in Japan und die Asia-Fassung von Vol. 2 blieb exklusiv in Asien (Bootlegs und irgendwelche Fan-Edits mal ausgenommen). Die Roadshow-Fassung von The Hateful Eight wurde meines Wissens nie wieder irgendwo gezeigt und auch ein Extended Cut von Once Upon a Time in Hollywood geistert ja auch noch durch die Weltgeschichte. Bleibt sich Quentin Tarantino treu, wird die Wholy Bloody Affair zu Kill Bill eine einmalige Affäre bleiben. Am 05.12 wird die übrigens in amerikanischen Kinos bereits laufen. Stand jetzt ist zu einer Kino- oder Heimkino-Auswertung in Europa noch rein gar nichts bekannt. So nah und letztendlich doch so fern, wie es scheint. Den Film in dieser Fassung im Kino genießen zu dürfen wäre für meine von aktuellen Filmen geschundene Seele eine Art warme Umarmung, die dringend benötigt wird.

Und genau das bringt mich dazu, noch einmal auf 20 Jahre Kill Bill zurückzublicken. Vol. 1 kam 2003 in die Kinos, das 20 jährige Jubiläum ist, technisch gesehen, auf dem besten Weg zum 25. Jubiläum. Aber das hält mich dann doch nicht ab, diese kleine Retrospektive zu schreiben.

Der 4. Film von Quentin Tarantino, so wurde er beworben, war lange Zeit ein Mysterium an sich. Niemand wusste genau, was in diesem Film nun passieren würde, aber der Titel lies viel erahnen. Genau wie bei der Whole Bloody Affair aktuell war das Kino für mich eine unüberwindbare Hürde, da ich 2003 gerade einmal 16 Jahre alt war und sicherlich 2-3 Jahre jünger aussah. Mit seiner verdienten FSK 18 Freigabe für mich also keine Chance, den im Kino sehen zu können. Das sah bei Vol. 2 schon anders aus, da war ich zwar erst 17 und sah mindestens 2-3 Jahre jünger aus, der Film war aber bereits ab 16 Jahren freigegeben, was eine absolut korrekte Altersfreigabe für diesen Teil ist, da Tarantino sich mit blutigen Gewaltorgien hier nahezu komplett zurückgehalten hat. Kill Bill war damals ein Gesprächsthema auf dem Pausenhof und irgendwie hatten wir dann doch alle Teil 1 gesehen, obwohl die wenigstens von uns alt genug waren, ihn wirklich im Kino sehen zu können. 20 Jahre später stellt sich natürlich die Frage, wie gut beide Teile noch mithalten können. Besonders im direkten Vergleich zu Tarantinos Filmen, die danach folgten. Für mich ist es jedoch so, dass Tarantino hier mit diesem Zweiteiler, und das gilt nach wie vor, seinen Höhepunkt als Filmemacher erreicht hat. Theoretisch könnte ich schon sagen, dass er diesen mit seinem Regiedebüt Reservoir Dogs zuvor erreicht hatte und seinen Stil dann in Pulp Fiction ausgebaut hat, aber Kill Bill war dann doch nochmal etwas ganz besonderes. Wie so oft bei Tarantino glänzt Style over Substance - wirklich originell ist die Rachestory per se nicht. Auch darüber hatte Tarantino nie einen Hehl gemacht, dass die Geschichte seine eigene Interpretation von alten japanischen Klassikern mit Meiko Kaji ist. Lady Snowblood und Sasori zum Beispiel. Generell stand das japanische Kino für Vol. 1 Pate während für Vol. 2 der Eastern und der Italo Western hergehalten haben. Dass Vol. 2 der eigentlich deutlich komplexere, rundere Film ist, wird bis heute nicht so gewürdigt, wie es der Film verdient. Besonders dieser starke Kontrast nach dem Japan-Arc ist es, wieso Kill Bill als Filmprojekt so vielschichtig ist. Obwohl Vol. 2 weder ein reiner Eastern noch ein reiner Italo-Western ist, hat Tarantino hier gleich zwei vermeintlich tote Filmgenres in großem Glanz in einer modernen Interpretation zurück auf die große Leinwand gebracht. Tarantino hat es nicht nur geschafft, die Seele dieser Genres einzufangen, er hat es am Ende auch geschafft, seine eigene Geschichte zu einem runden Abschluss zu bringen. Gelungen ist ihm das natürlich mit der immer wieder viel zitierten Liebe zum Film - zum Beispiel Schauspieler aus dieser Ära zurückzubringen wie David Carradine, Sonny Chiba und Gordon Liu oder aber einzigartige Musikstücke von Ennio Morricone wie "L'arena" aus dem Spaghetti-Western "Il Mercenario" einzubauen. Doch in keinem anderen seiner Filme setzte Tarantino seine eigenen Ideen so konsequent um wie in Kill Bill. Insofern wird es spannend zu sehen sein, wie die Whole Bloody Affair als ein kompletter Film funktionieren wird, besonders, wenn man den dann doch schon relativ eigenbrötlerischen zweiten Teil des Gesamtwerks mit einbezieht.

Und so stelle man sich vor, Kill Bill wäre in der heutigen Zeit entstanden. Wir hätten es vermutlich unlängst mit einem Film-Franchise zu tun wie es aktuell bei John Wick und unzähligen anderen Filmen der Fall ist. Es ist Tarantino umso höher anzurechnen, dass er Kill Bill zur damaligen Zeit zu einem popkulturellen Hit gemacht hat, an den man sich heute noch gerne zurückerinnert. Vielleicht heutzutage noch mehr als jemals zuvor. Tarantino hatte in der Vergangenheit oft über die Lore von Kill Bill gesprochen und auch darüber, wie es durchaus hätte Prequels oder auch ein vermeintliches Sequel hätte geben können. Kill Bill Vol. 3 ist nicht weniger sagenumwoben wie die Whole Bloody Affair. Tarantino, der nach seinem nächsten Film ja gerne seine Karriere als Regisseur an den Nagel hängen möchte, wird auf Kill Bill vielleicht nochmal ganz speziell zurückblicken. Das Filmprojekt war die Kumulation von allem, was er bis zu diesem Punkt in seiner Karriere als Filmemacher erreicht hatte. Bereits mit Jackie Brown bewegte er sich aus seiner Komfortzone, doch mit Kill Bill kehrte er nach seiner bis dahin längsten Filmpause mit etwas zurück, was ihm so vermutlich keiner zugetraut hätte. Kill Bill war der beste Beweis dafür, wie Tarantino als Filmemacher gewachsen ist und nicht zu dem Typen wurde, der insbesondere mit Pulp Fiction für immer in den 90ern gefangen war. Vielleicht der wichtigste Film für ihn in seiner Laufbahn als Regisseur. Für uns Filmfans ein schönes Andenken an eine Zeit, in der das Kino noch einen ganz anderen Stellenwert hatte.


Text und Idee: Aufziehvogel 

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