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Sonntag, 29. Mai 2022

Rezension: Männer und Frauen (Yosano Akiko)

 






2022

Männer und Frauen
Autorin: Yosano Akiko
Verlag: Manesse
Erscheinungsdatum: 23.05.2022
Auswahl der Texte, Übersetzung und Nachwort: Eduard Klopfenstein
Genre: Essays, Sammlung



"Die Japaner liegen jedoch in ihrer inneren zivilisatorischen Entwicklung noch weit hinter den Europäern zurück. Besonders die japanischen Frauen haben in überwiegender Mehrheit keine Vorstellung von Würde oder von der Zielsetzung der menschlichen Existenz; vielmehr schwanken sie wie Treibgut auf den Wellen der materiellen Zivilisation. Rousseau hat einmal dem Sinne nach Folgendes gesagt: >>Ich bilde nicht in erster Linie Gelehrte, Politiker oder Generale aus, sondern Menschen.<< In gleicher Weise ist es die dringlichste Pflicht, den japanischen Frauen, noch bevor sie Ehefrauen und Mütter werden, das wahre Bewusstsein von der Gleichheit als Menschen einzupflanzen. Ideen, die in Europa bald schon zum alten, etablierten Bestand gehören werden - seien es der Naturalismus oder die Frauenrechte -, müssen in Japan endlich als lebendiges Gedankengut von Grund auf studiert werden."
(aus "Die essenzielle Gleichheit von Mann und Frau")



Yosano Akiko (1872-1942) war zu Lebzeiten eine viel beschäftigte Frau. Schon in jungen Jahren stieg sie im wohlhabenden Familiengeschäft ein und wurde später Schriftstellerin, Essayistin, Poetin. Sie war dreizehnfache Mutter, Frauenrechtlerin und politisch sehr engagiert. Über die Person Yosano Akiko (Akiko ist hier der Vorname) gibt es nicht weniger zu erfahren als über ihre schriftstellerischen Werke. Yosano Akiko gehörte zu Zeit ihrer schriftstellerischen Karriere zu den bekanntesten weiblichen Autorenstimmen Japans. 1942, mitten in den Tumulten des Pazifikkrieges, verstarb sie im Alter von 63 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Mit ihrem Tod, so schien es, starb auch ihre Arbeit als Schriftstellerin. In Japan wurde die Werke von Yosano erst Jahrzehnte später wieder entdeckt, es würde weitere Jahrzehnte aber dauern, bis ihre Themenvielfalt rund um Frauenrechte sowie ihre poetischen Arbeiten wieder an Relevanz gewinnen. Besonders in ihren späteren Lebensjahren jedoch galt sie in ihrer Heimat aufgrund ihrer politischen Ansichten als kontrovers. Heute sind ihre Verdienste als Autorin aber kaum höher einzuschätzen.

"Männer und Frauen", so der simple Titel der Hardcover-Ausgabe, ist Yosanos deutschsprachiges Debüt. Der erfahrene Japanologe Eduard Klopfenstein stellte hier eine Sammlung an verschiedenen Essays von Yosano Akiko zusammen, die aus verschiedensten Schaffensphasen aus ihrem Leben stammen. Überraschend gut hat mir hier die variierende Themenvielfalt gefallen, die sehr sorgsam ausgewählt wurde. Zwar nimmt das Thema rund um Gleichberechtigung der Geschlechter in diesem Band einen großen Teil ein, aber die Autorin schreibt hier auch gerne entspannt über den Alltag, das Leben als vielfache Mutter sowie Japans damalige Politik. Was hier vermuten lässt, die Autorin wolle in diesen Essays den Lesern vielleicht per Holzhammermethode ihre feministischen und politischen Ansichten aufzwingen, haben wir es stattdessen wieder einmal mit der einzigartigen japanischen Harmonie zu tun, die ich an der japanischen Literatur so sehr schätze. Yosano Akiko ist eine Frau mit klaren Ansichten und mit einer klaren Lebensphilosophie. Doch wir lernen in den verschiedenen Texten auch eine gefühlvolle, einsichtige Frau kennen. Besonders zu Beginn des Buches wird dies deutlich, wenn die Autorin auf eine junge Generation an Schriftstellerin vorausblickt und sich über dessen Zukunft Gedanken macht. Yosano spricht aber vor allem auch über ihr eigenes Leben als Schriftstellerin und welche Hürden darin bestehen, Auftragsarbeiten annehmen zu müssen, um die Familie zu ernähren und die Texte schreiben zu dürfen, die ihr auf der Seele liegen. Es sind sehr inspirierende, motivierende Worte, die zum nachdenken anregen.

Die ausgewählten Essays sind allesamt extrem kurzweilig. Die Autorin zeigt in den verschiedenen Werken ein sehr geschicktes Händchen darin, immer schnell zum Punkt zu kommen, trotzdem aber alles wichtige zu erzählen. Zum Abschluss des Bandes befinden sich noch zwei sehr interessante Essays aus den Jahren 1918 und 1920, die die spanische Grippe thematisieren und die auch auch vor Japan keinen Halt machte. Die Texte sind oftmals mit der großen Leidenschaft von Asano verknüpft: Der japanischen Dichtkunst. Sehr oft baut sie in ihren Texten kleine Tankas und Haikus  mit ein:


"Lebenstausch
zwischen einem Kind
und seiner Mutter...
Kiste aus Holz
als kostbares Gefäß

Das Nichts gebären
den Tod gebären
Gewaltige Dinge
... höre davon an der Grenze
von Traum und Wirklichkeit"
(aus "Aufzeichnungen aus dem Wochenbett")


Das hier präsentierte Gedicht setzt sich natürlich mit einem finsteren Lebensereignis der Autorin auseinander.

Nach 130 Seiten etwa folgt ein ausführliches Nachwort von Eduard Klopfenstein, der mal wieder seine langjährige Expertise als Japanologe zum Ausdruck bringt. Hier lernen wir noch mehr über das bewegte Leben von Yosano Akiko als Schriftstellerin, aber auch als Mensch.



Abschließende Gedanken

Die erste deutschsprachige Übersetzung von Yosano Akiko sehe ich als eine sehr gelungene Sache. Besonders die bereits angesprochene Themenvielfalt von "Männer und Frauen" sorgt für einen angenehmen Lesefluss. In die Welt der Autorin einzutauchen war eine interessante Erfahrung und ich wünschte mir, aus dieser schriftstellerischen Periode aus Japan würde im deutschsprachigen Raum kontinuierlich etwas neues erscheinen. Yosano Akiko legte den Grundstein für japanische Schriftstellerinnen im modernen Japan. Mit MurasakiShikibu und Sei Shonagon hatte man berühmte Schriftstellerinnen aus der japanischen Antike. Doch was genau passierte, als dieses hohe Ansehen bei japanischen Schriftstellerinnen über die Jahrhunderte geringer wurde? Yosano Akiko macht sich über solche Themen Gedanken. Mehr als 80 Jahre nach ihrem Tod wäre sie aber vermutlich sehr stolz darauf, welch hohes Ansehen japanische Romanschriftstellerinnen heute wieder genießen, die mit ihren Werken weltweite Erfolge feiern. Ob Banana Yoshimoto, Yoko Ogawa, Hiromi Kawakami, Sayaka Murata - oder Mieko Kawakami, die praktisch die zeitgenössische Stimme von Yosano Akiko ist - sie alle führen in beeindruckender Weise das fort, wofür Yosano Akiko in ihren Texten gekämpft hat. Eine beeindruckende kleine Zeitreise in eine schwierige Epoche der japanischen Literatur, über die im Westen noch immer zu wenig bekannt ist. Solche Veröffentlichungen sorgen dafür, diese Lücken zu schließen.

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