Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 9. März 2021

Einwurf: Evangelion 3.0+1.0 - You Can Not Watch It

 

Foto: Studio Khara



Mit einer zarten Verspätung von nur knapp 6 Jahren ist endlich der Film in den japanischen Kinos angelaufen, der unter Fans schon mehr oder weniger nur noch ein Mythos aus vergangenen Tagen Jahren war. "The Rebuild of Evangelion"; eine Neuinterpretation eines modernen Anime-Klassikers. Mehr Fortsetzung als Reboot. Ambitioniert, ja, vielleicht ausgestattet mit Überambitionen eines ambitionierten, emotionalen Filmemachers. Die Superlativen könnten ewig so weitergehen und dennoch könnte es der Entstehungsgeschichte dieser neuen Spielfilmreihe von Neon Genesis Evangelion nicht gerecht werden. Studio Khara hat es aber geschafft, sie haben diesen Film, an den schon keiner mehr geglaubt hat, in die Kinos gebracht. "Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time" hat es mit einer brachialen Lauflänge von 155 Minuten in die japanischen Kinos geschafft (sogar minimal früher als vorgesehen). Dies war eigentlich schon für 2020 geplant, aber wir wissen ja, woran das scheiterte. Sind wir aber ganz ehrlich, der sollte eigentlich schon 2015 in die Kinos kommen. Die ambitionierten Pläne von Serienschöpfer Hideaki Anno gingen in die folgende Richtung: Geplant waren 4 bis 5 Filme die in einem Zeitunterschied von 2-3 Jahren erscheinen sollten. Evangelion 3.0 ist in Japan 2012 erschienen. Was wir nun also haben ist keine Lücke von 3 Jahren, nein, wir sind nun alle fast 10 Jahre älter, aber kein Stückchen weiser geworden, was die große Auflösung von NGE angeht. 

Und mit diesen Worten möchte ich zu James Bond schwenken, der keine Zeit zu sterben hat, denn es stehen noch teure Nachdrehs für die Sponsoren an.

Das Kino befindet sich derzeit in einer wenigen komfortablen Position. Auch vor der Pandemie stand das Kino aufgrund seiner teuren Preise natürlich in der Kritik, aber leer waren die Kinosäle sicherlich nie. Die zwei größten Sorgenkinder die Unmengen an Budget bereits gefressen haben und schon Anfang letztes Jahr hätten in den Kinos anlaufen sollen: Black Widow von Marvel Studios und Daniel Craigs letzter Einsatz als 007 - No Time To Die. Der gleichnamige Titelsong von Billie Ellish feierte kürzlich sein einjähriges. Das Marketing für den neuen Bond ist schon jetzt ein absolutes Fiasko nach den ganzen Neuansetzungen des Kinostarts. Doch als dann auch noch die Sache mit den teuren Nachdrehs öffentlich wurde, die teilweise hauptsächlich für Sponsoren in Auftrag gegeben wurden weil die Protagonisten im Film nicht mit einem Handy unterwegs sein sollen, welches aus der Mode gekommen ist, lösten unterschiedliche Reaktionen bei den Fans aus, hauptsächlich auf die Zwerchfellmuskulatur. 20:0 für COVID. Das Virus ist nicht nur gefährlich und beraubt uns unseres alltäglichen Lebens, es macht den mächtigsten Geheimagenten und Ex-Macho der Welt auch zu einer Lachnummer. Selbst Hideaki Anno wischt sich vermutlich gerade den Schweiß von der Stirn, denn der neue Bond hat das beste Potential dazu, ebenfalls erst 8 Jahre nach Ankündigung in die Kinos zu kommen (falls es die dann noch gibt).

Warum bringt man die Filme dann nicht zu Streaming-Anbietern, die derzeit ihre wohl größten Erfolge feiern? Sowohl Netflix, Disney+ sowie auch HBO Max stehen bereit. Aber so einfach ist es nicht da sowohl Disney+ als auch HBO Max zu Disney (Duh) sowie Warner gehören. Netflix würde niemals so viel Geld für den neusten 007 ausgeben wollen und allen voran wollen die Filmemacher und Studios ihre teuren Filme nicht direkt ins Heimkino bringen. Die Filme werden schließlich für die ganz große Leinwand gemacht. Christopher Nolan's Tenet sollte der Film werden, der uns alle zurück in die Kinos bringt. Er sollte sich irren, Tenet wurde letztendlich auch von COVID besiegt, obwohl der Film noch mit einem beachtlichen Einspielergebnis davonkam, welches aber selbstverständlich nicht ausreichte, um die erheblichen Kosten der Produktion einzuspielen.

Wenn Christopher Nolan bereits resigniert und uns nicht zurück in die Kinos bringt, was viele Studios nun auch eingesehen haben, bringt uns sicherlich derzeit keiner dorthin zurück. Und nicht anders verhält es sich aktuell wohl auch mit eine der wohl kostspieligsten japanischen Kinoproduktionen des Jahres 2021. Der finale Evangelion Spielfilm ist in den japanischen Kinos angelaufen..... und wir können ihn nicht sehen.



Kein Zutritt: Die Vorstellung läuft gerade


GIF: Gainax/Studio Khara


Ob die japanischen Fans gerade die heimischen Kinos stürmen, nun, ich bezweifle es. Während die Japaner aber zumindest eine Option haben, bleibt der Westen vorerst komplett ausgesperrt. Deals mit bekannten Streaming-Anbietern scheint Toei nicht gemacht zu haben. Wäre ein direkter Release auf Netflix eine Option gewesen? Die haben mit viel Pomp und Getöse ja die Originalserie sowie die beiden Kinofilme Death & Rebirth und The End of Evangelion in ihr Programm aufgenommen. Aber auch nur die Serie und die alten Kinofilme, die neue Spielfilm Trilogie befindet sich nicht beim Streaming-Anbieter. Überhaupt war die Veröffentlichung von Netflix als relativ kontrovers anzusehen. Das ikonische "Fly me to the Moon" Ending-Theme aus der Serie wurde entfernt, da Netflix entweder nicht die Rechte an den Song bekommen konnte oder aber nicht die Lizenzgebühr dafür zahlen wollte. Der Song wurde durch ein anderes Instrumental-Theme aus der Serie ausgetauscht (Rei I soweit ich mich recht erinnere). Die größte Kontroverse bestand jedoch in den Neuvertonungen, die Netflix in sämtlichen Sprachen mit Ausnahme der japanischen Originalstimmen vorgenommen hat. Netflix holte so einige Anime-Klassiker in sein Programm, aber bei keiner Serie hatte man zuvor solch drastische Änderungen vorgenommen.

Und dennoch, die Hoffnung war da, Netflix könnte sich am Ende als Retter in der Not entpuppen. Die Fans würden den Film vermutlich sogar derzeit ohne Tonspur konsumieren..... auch wenn dies natürlich keine richtige Option wäre. Als Evangelion: 3.0 You Can (Not) Redo 2012 in Japan erschienen ist, war das Internet noch immer nicht dieser zentrale Mittelpunkt, wie es heute der Fall ist. Mit einer weltweiten Fanbase die sich über 25 Jahre lang aufgebaut hat, ist ein Lockout mehrerer Kontinente für das finale der neuen Spielfilmreihe schwer zu erklären. Da ist auch die nette Geste von Studio Khara, die ersten 12 Minuten des langen Films für alle zugänglich zu machen, nur ein schwacher Trost. Man hat damit sogar, natürlich ungewollt, das Gegenteil erreicht. Die Leute wollen nun den kompletten Film, sind sehr hungrig (vielleicht auch etwas durstig, allerdings aus anderen Gründen) auf das vollständige Produkt und begehen nun den Fehler, sich spoilern zu lassen. Sie wollen wissen, wie diese Geschichte endet und in den sozialen Netzwerken rüsten sich die Troll-Weebs hungrige und aus etwas anderen Gründen durstige Evangelion-Fans zu verarschen und auf eine falsche Fährte zu locken. Megumi Ogata (Synchronsprecherin von Shinji Ikari) mahnte schon auf Twitter, Trolle oder Spoiler-Nutzer zu blockieren, damit diese weniger Schaden anrichten können. Doch noch einmal: Wir haben das Jahr 2021 und nicht 2015. Einen Film mit so einer großen Fanbase mehr oder weniger zu verheimlichen ist kaum möglich. Bereits Disney kam mit der ersten Staffel zu "The Mandalorian" in diese unschöne Lage. Als die Serie bereits lief, das Web fleißig darüber diskutierte, aber der Service rund um Disney+ in den meisten Ländern aufgrund der (beispielsweis) EU-Regularien überhaupt noch nicht an den Start gehen durfte. Die Piraterie rieb sich die Hände. Auch wenn der Mandalorianer mit Staffel 2 wieder Rekorde für illegale Kopien gebrochen hat, so ist die Mehrheit der Interessenten noch immer von ehrlicher Natur und zahlt brav sein Disney+ Abo.

Doch wie geht es für Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time nun weiter? Die Antwort darauf zu geben ist nicht einfach. Es wurden vermutlich schon im Vorfeld sehr wahrscheinlich Lizenzen ausgehandelt. In den USA sollte es sogar einen limitierten Kino-Release geben, was daraus nun aber geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Lizenzen werden wohl auch an Filmfestivals vergeben worden sein, doch auch hier dürfte es relativ düster aussehen. Anime und Lizenzrechte, ein Thema für sich da viele Lizenzgeber immer noch recht stur sind. Japan First. Und so ist es auch bei Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time. Wenn es den normalen Weg geht, dann bleibt der Film nun erstmal exklusiv in den japanischen Kinos, erscheint in circa 6 Monaten für das Heimkino und irgendwann 2022 wird er dann auch bei uns zu sehen sein. Die vorherigen Filme erschienen in Deutschland bei Universum (mittlerweile heißen diese Leonine, wieder sieht man einmal, wie viel Zeit seit dem letzten Film vergangen ist) mit einem knapp 1 jährigem Delay nach japanischen Kinostart.

Ob es in Sachen Streaming-Anbieter vielleicht doch noch einen Retter in der Not geben wird und man sich westlichen Fans erbarmen wird, bleibt abzuwarten (und besonders, ob auch Europa davon profitieren könnte, da die lizenzrechtliche Lage aufgrund der vielen Anbieter hier ein einziges Chaos ist). Eine optimale Situation ist es nicht, aber wenn man schon knapp 8 Jahre gewartet hat, auch hier können wir wieder ganz ehrlich sein, kommt es auch darauf nicht mehr an. Extrahieren wir aber den positiven Effekt aus der Misere: Es wird keine teuren Nachdrehs für die Sponsoren gegeben haben, denn Shinji benutzt seit 1995 den gleichen Sony Walkman (im laufe der Zeit wurde aber in den neuen Filmen das Logo der Deutschen Post durch DHL ersetzt. Zu sehen auf Asukas Umzugskisten)!

Mein Tipp an alle Wartenden (zu denen ich auch zähle): Spoiler-Geschossen am besten aus dem Weg gehen, indem man das Stromkabel vom Router entfernt und bis nächstes Jahr nicht ins Internet geht. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe, da man hier endlich den seit mindestens 5 Jahren geplanten Internet-Detox mitnehmen kann. Cheers, dankt mir bitte 2022!


Update 10.03.2021: Laut aktuellen Meldungen ist der Film sehr erfolgreich in den japanischen Kinos gestartet!



Hikaru Utada: One Last Kiss (Evangelion 3.0+1.0 Thrice Upon a Time Titelsong

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