Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 31. Mai 2017

Rezension: Into the Water (Paula Hawkins)







Großbritannien 2017

Into the Water
Autorin: Paula Hawkins
Verlag: Blanvalet
Übersetzung: Christoph Göhler
Veröffentlichung: 24.05.2017
Genre: Mystery, Thriller




"Ich lenkte den Wagen an den Straßenrand und schaltete den Motor aus. Dann sah ich auf. Dort waren die Bäume und hier die Steinstufen, vermoost und tückisch nach dem Regen. Sämtliche Härchen an meinem Körper stellten sich auf. Woran ich mich erinnerte: An den eisigen Regen, der auf den Asphalt trommelte, die zuckenden Blaulichter, die im Wettstreit mit den Blitzen den Fluss und den Himmel erhellten, Atemwolken vor verängstigten Gesichtern und den kleinen Jungen, der bibbernd und weiß wie ein Gespenst von einer Polizistin die Stufen zur Straße hinaufgeführt wurde. Daran, wie sie seine Hand umklammert hielt, wie sie sich mit großen, wilden Augen umschaute und den Kopf hin- und herwandte, während sie irgendwen rief. Noch heute kann ich fühlen, was ich damals fühlte, Grauen und Faszination zugleich. In meinem Kopf höre ich dich immer noch sagen: Wie das wohl sein muss? Kannst du dir das vorstellen? Zusehen zu müssen, wie deine eigene Mutter stirbt?"
(Into the Water: Paula Hawkins. Verlag: Blanvalet. Übersetzung: Christoph Göhler)



"Into the Water" von Paula Hawkins fiel mir beinahe zufällig in die Hände. Geplant war der Titel und die anschließende Besprechung für eine Gast-Autorin, die für "Am Meer ist es wärmer" bereits eine Rezension zu "Girl on the Train" verfasst hat. Aus zeitlichen Gründen musste die Rezensentin mir aber absagen und so blieb Into the Water auf meinem Schreibtisch liegen. Somit fiel der Titel auf meinem eigenen Stapel. Obwohl ich Gillian Flynns "Gone Girl" als sehr gelungen erachte, bin ich nun auch kein passionierter Leser von Thrillern weiblicher Autorinnen. Dass mich dieses Metier aber durchaus auch begeistern kann, dies hat zuletzt erst "Geständnisse" der japanischen Autorin Kanae Minato bewiesen. Ob Paula Hawkins neuster "Spannungsroman" mich begeistern konnte, erfahrt ihr jetzt.

Ein guter Titel ist die halbe Miete, heißt es..... oder auch nicht. Paula Hawkins hätte ihren Roman wohl lieber "Drowning Pool" genannt, wenn dies nicht unbedingt Probleme mit Urheberrechten und anderen Querelen mit sich bringen würde. Den Titel "Into the Water" kann ihr daher doch logischerweise nur ein Redakteur zugespielt haben, denn an größerer Ideenlosigkeit ist dieser langweilige Titel für einen umfangreichen Roman kaum zu überbieten. Wiederum, Girl on the Train ist auch nicht gerade ein Titel, der von Einfallsreichtum strotzt. Am wichtigsten ist jedoch, ob der Inhalt überzeugen kann. Nach dem sensationellem Erfolg von Girl on the Train hätte die Autorin ihren neusten Roman auch "Dead Body in the Water" nennen können und keinen hätte es gekümmert, denn eine feste Leserschaft war Paula Hawkins von vornherein sicher.

Into the Water beginnt nicht so, wie man sich den typischen Mystery-Thriller vorstellt. Der Prolog erinnert sogar ein wenig an die Eröffnungssequenz des Pilotfilms von Twin Peaks, die die Zuschauer durch ihre kryptische art und weise auch sehr überrascht haben dürfte. Die Geschichte beginnt im Jahr 2015 und Jules (ein Kosename für Julia) berichtet über eine Person, die ihr anscheinend mal sehr nahe stand. Trauer vermischt sich mit Wut und ihren Worten merkt man sofort an,  die Frau pflegte ein sehr zerrüttetes Verhältnis zu dieser Person. Die Feder wird an Josh weitergereicht, ein junger Mann, der wartet, dass seine Mutter heimkehrt, die, seit dem Tod ihrer Tochter, gerne mal nächtliche Spaziergänge unternimmt. Als sie am Morgen zurückkehrt und sich ins Haus schleicht, geht sie die Treppen zum Schlafzimmer hinauf und weckt ihren Mann, ihr Sohn Josh folgt ihr dabei heimlich. Als ihr Mann Alec aus einem tiefen Schlaf erwacht, macht seine Frau ihm die traurige Kunde, die Leiche von Nel Abbott sei vor einigen Stunden gefunden worden. Erneut wechselt die Erzählung zu Jules, die sich der Polizei als die Schwester der Verstorbenen vorstellt.

Es dauert um die 50 Seiten, bis für den Leser wirklich klar wird, um was es in dieser Geschichte geht. Durch die kryptische, sehr unkonventionelle Erzählweise gewinnt die Geschichte schnell an Fahrt. Einige Leser könnte so ein Stil vielleicht überfordern oder abschrecken, ich hingegen war überraschend angetan. Alle 5-10 Seiten (zum größten Teil der Geschichte zumindest) wechselt der Erzähler, was eine Besonderheit ist aufgrund der Kürze der jeweiligen Parts. Dabei wechselt die Erzählung auch gerne mal vom Ich-Erzähler zum Erzähler aus der dritten Person. Meine Sorge, dieser Stil könnte sich irgendwann abnutzen und langweilig werden, hat sich nicht bewahrheitet. Erst die vielen kleinen Geschichten ergeben gemeinsam ein großes Gesamtwerk, was äußerst gut durchdacht ist, aber leider auch nicht völlig ohne bekannte Klischees auskommt. Von Themen wie Feminismus möchte ich mich aber dennoch distanzieren, da diese Debatte auch wieder einmal auf der Agenda stand. Dass das Buch eher eine weibliche Leserschaft anpeilt, dürfte jetzt keine besonders große und überraschende Offenbarung sein.



Resümee

Paula Hawkins Stil sorgte bei mir für eine Überraschung. Die sich stets abwechselnden Erzähler(innen) sorgen für Spannung, Mysterien und eine menge Konfusion. Man kann nicht allen trauen, keiner sagt die Wahrheit und jeder ist mal wieder irgendwie verdächtig. Die Zutaten sind alle bekannt und wurden nicht neu erfunden, aber wie sie zusammengeführt wurden ergibt durchaus ein recht erfrischendes Konzept. "Into the Water" ist erst der zweite Mystery-Thriller von Paula Hawkins und ihr Stil scheint sich etabliert zu haben. Abgesehen von der Nutzung einiger etwas zu abgedroschener Klischees und einer kleinen Überlänge ist in dieser Geschichte alles an seinem Platz. Genau da, wo es hingehört. Paula Hawkins scheint gerne die zerstörten Teile einer Vase wieder zusammenzusetzen, aber nicht, ohne dem bekanntem Objekt noch ein eigenständiges Markenzeichen zu hinterlassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen