(Foto: Aufziehvogel)
Die Versöhnung des Samurai: Unheimliche Geschichten aus Japan
Verfasser: Lafcadio Hearn
Veröffentlichung: 2014 im Hibarios Verlag
Übersetzung: Klaus Lerch
Genre: Klassische Literatur, Märchen, Grusel
"[...]Als er aufwachte, strömte das Tageslicht durch die Ritzen der Fensterläden und zu seinem großen Erstaunen fand er sich auf einen nackten, vermoderten Boden wieder... War das alles nur ein Traum? Nein: sie war da, - sie schlief... Er beugte sich über sie, - und schaute,- und schrie,- die Schlafende hatte kein Gesicht! Vor ihm liegend, nur in ein Totenhemd gehüllt, lag der Leichnam einer Frau, - ein Leichnam, so stark verwest, dass kaum etwas blieb außer den Knochen und dem langen schwarzen Haar.
Langsam nur, als er schaudernd und sich ekelnd in der Sonne stand, wich das eiskalte Grauen einer unerträglichen Verzweiflung, einem Schmerz so stark, dass er sich an die kleinste Hoffnung klammerte, dass dieser Schrecken nun doch nicht wahr sein könne. Unwissen vortäuschend wagte er es, sich in der Nachbarschaft nach dem Hause zu erkundigen, in dem seine Frau gelebt hatte."[...]
(Auf der Geschichte: "Die Versöhnung des Samurai". Übersetzung: Klaus Lerch, Hibarios Verlag)
Lafcadio Hearn (1850-1904, auch bekannt unter dem japanischen Name "Koizumi Yakumo") reiste erst verhältnismäßig spät in seinem Leben nach Japan. Im alter von 40 Jahren (1890) bis zu seinem Tod in Jahr 1904 widmete Hearn all seine Faszination der japanischen Kultur. Auch weit nach Hearns Ableben fungierte er quasi als Botschafter zwischen Ost und West. In Japan genoss der Autor mit Irisch-Griechischen Wurzeln ein besonders hohes ansehen und auch so viele Jahre nach seinem Tod hat er diesen Status noch inne. Mit nur 54 Jahren erlag Lafcadio Hearn einem Herzversagen.
Hearns großartiges Werk lebt natürlich weiter. Auch wenn Hearn etliche Werke verfasst hat, die man der westlichen Literatur zuordnen kann, war das Werk, welches er in Japan verfasste, jenes, welches ihn weltbekannt machte. Darunter finden sich zum einen Reiseberichte, die besonders westlichen Lesern die exotische japanische Kultur näher bringen sollen. Zum anderen, und da kommen wir nun zu jener Kategorie, die man beinahe ausschließlich mit Hearn verbindet: Geistergeschichten. So seltsam simpel es klingen mag, aber die teilweise sehr gruseligen Geistergeschichten, die Hearn neu erzählt und westlichen Lesern zugänglich gemacht hat, waren verantwortlich dafür, dass wir seine Werke auch in der heutigen Zeit noch lesen.
Der kleine Hibarios Verlag hat sich in einer schönen Edition Lafcadio Hearns Werk angenommen. Der hier besprochene Band "Die Versöhnung des Samurai" ist einer von 4 Bänden die der Verlag bislang veröffentlicht hat. "Die Versöhnung des Samurai" wurde mir von Herausgeber und Übersetzer Klaus Lerch empfohlen, und da ich ein absoluter Anfänger bin, was japanische Geistergeschichten angeht (mal abgesehen von den Werken von Koji Suzuki und Otsuichi), habe ich keine Sekunde an der Empfehlung gezweifelt. Und ich sollte letztendlich auch nicht enttäuscht werden. Mit etwas über 100 Seiten beinhaltet das Buch, ohne das interessante Vorwort mitzuzählen, 19 Geschichten (Das Format des Buches müsste A3 sein, also wesentlich größer und breiter als gewöhnliche Taschenbücher). Die Länge dieser Geschichten variiert stark. Doch ob eine Geschichte nun 2 Seiten oder 10 Seiten einnimmt, sie alle sind atmosphärisch und, überraschend für mich, tatsächlich gruselig. Viele Geschichte, ganz besonders "Von einem gebrochenen Versprechen" und die Titelgeschichte "Die Versöhnung des Samurai" haben mir einen echten Schauder über den Rücken gejagt. Jede Geschichte ist ausgestattet mit einem kleinen Twist, der aus heutiger Sicht vielleicht nicht mehr so schockierend rüberkommt, aber immer noch seine Wirkung erzielt.
Hearns Erzählungen, die darauf basieren, was seine Frau ihm so an bekannten japanischen Geistergeschichten vorgelesen hat, sind abgerundet und verfeinert von seinem ganz persönlichen Stil. Es sind keine bloßen Nacherzählungen. Die unheimlichen Geschichten sind auch keine Märchen im klassischen Sinne. Obwohl die meisten Geschichten Jahrhunderte alt oder älter sind, haftet ihnen bereits der typische Stil der japanischen Erzählart an, den wir ganz besonders aus modernen Werken zeitgenössischer japanischer Literatur kennen. Hearn verwestlicht die Geschichten nicht und bleibt trotz einiger geschickter Ergänzungen/Erklärungen der japanischen Literatur treu (interessant ist, Hearn philosophiert selbst innerhalb der Geschichten, kommt zu Wort und betrachtet nicht vollständige Erzählungen auch relativ kritisch). Da man keine westlichen Märchen erwarten darf, ist der Zugang zu den Geschichten für westliche Leser wie immer etwas schwieriger. Die Geschichten handeln meist von Verlusten geliebter Menschen (in diesem Band sind es häufig Beziehungen zwischen Ehepaaren), können teilweise auch sehr surreale oder gar bizarre Züge annehmen (um noch einmal auf die Titelgeschichte "Versöhnung des Samurai" zu verweisen). Ein klassisches Happy End sucht man also bei etlichen Geschichten vergebens. Und trotzdem gibt es auch einige Geschichten, die ein sehr rührendes Ende innehaben, wie zum Beispiel "Die Dankbarkeit des Samebito". Je mehr Geschichten man liest, umso schneller ist man mit dem Stil von Lafcadio Hearn vertraut.
Resümee
Jeden Abend, meistens eher Nachts, bevor ich mich schlafen gelegt habe, habe ich mir 2-3 Geschichten aufgehoben, um den Tag abzuschließen. Diese Vorgehensweise hat, ohne das ich es bemerkt habe, süchtig gemacht. Der Inhalt des Buches ist schneller aufgebraucht als man denkt. Liest man eine Geschichte, so will man gleich noch tiefer in die Welt von Lafcadio Hearns Geistergeschichten eintauchen.
Präsentiert wird "Die Versöhnung des Samurai" vom Hibarios Verlag in einer schönen Edition zu einem anständigem Preis von 12 Euro. Die Geschichten selbst sind größtenteils mit zahlreichen interessanten Bemerkungen versehen, einigen Geschichten liegt am Ende sogar eine kleine Illustration bei.
Meine Empfehlung für alle Interessenten ist daher: Spart euch die Geschichten gut auf. Konsumiert sie sparsam und am besten ebenfalls vor dem zubett gehen. Bleibt nur zu hoffen, dass euch nicht jene bösen Geistern heimsuchen werden, über die Lafcadio Hearn so gerne schreibt. Die wollen, im Gegensatz zu vielen bekannten Geistern, euch nicht bloß einen Schrecken einjagen, sondern euch regelrecht den Kopf von den Schultern reißen.
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