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Freitag, 11. August 2023

Hörbuch-Rezension: Ein Sommer in Niendorf (Heinz Strunk)





Deutschland 2022

Ein Sommer in Niendorf

Autor: Heinz Strunk
Genre: Satire, Tragikomödie
Hörbuch Verlag: Roof Music
Printausgabe und E-Book: Rowohlt
Kaufoptionen: CD, Audible
Sprecher: Heinz Strunk
Laufzeit:  4 Stunden und 43 Minuten (Ungekürzte Lesung)



Ostsee-Romantik von Heinz Strunk

Ein Ostsee-Albtraum von Heinz Strunk


Als ich damals den "Goldenen Handschuh" von Heinz Strunk las, wollte ich nicht so recht mit seinem Stil klarkommen. Als Leser sucht man bei so etwas bekanntlich den berüchtigten Dosenöffner. Ein Buch, welches man eigentlich sehr gerne gut finden möchte, aber man gefühlt nie den Zugang zur Geschichte findet. Und irgendwann war der Zug für den Goldenen Handschuh bei mir dann abgefahren. Allerdings nicht für Heinz Strunk, dem ich mit "Ein Sommer in Niendorf" unbedingt nochmal eine Chance geben wollte. Hierbei handelt es sich noch immer um den aktuellsten Roman des Autors, denn seine neuste Veröffentlichung "Der gelbe Elefant" ist eine Sammlung an diversen Texten von Strunk.

Bei "Ein Sommer in Niendorf" wurde mir jedoch das Hörbuch empfohlen. Gelesen vom Autor persönlich. Autorenlesungen sind natürlich immer eine besondere Angelegenheit. Autoren sind oftmals keine ausgebildeten Schauspieler und somit schwingt immer wieder ein Bedenken mit, der Autor selbst könne sein Buch vielleicht nicht so gut vortragen wie ein professioneller Synchronsprecher. Darum bräuchte ich mir keine Sorgen machen, Heinz Strunk zuzuhören sei ein "Erlebnis". Seine Hörbücher würden vielleicht noch das gewisse "Extra" mit sich bringen, was man beim lesen seiner Bücher nicht erhält.
Wie ich Heinz Strunk als Sprecher einschätze, dazu folgt gleich mehr. Widmen wir uns zuerst dem Roman.

"Ein Sommer in Niendorf" ist ein wahrer Ostsee-Albtraum. Eine moderne Neuinterpretation und Ostsee-Version" von "Tod in Venedig" von Thomas Mann (der bekannte Zauberberg wird von Strunk gleich mehrmals erwähnt). Die  kleine, Titelgebende Ostseeidylle Niendorf (nicht weit entfernt vom Timmendorfer Strand) wird für einen Durchschnittstypen in seinen 50ern zu einer lebensverändernden Reise. Im Fokus steht hier der Jurist Dr. Georg Roth, geschieden, eine Tochter, der sich ein sogenanntes "Sabat-Quartal" gönnt und sich im friedlichen Niendorf für einige Zeit niederlassen möchte, um ein Buch zu schreiben. Roth möchte sich als Autor wagen, die Erinnerungen an den Vater niederschreiben. Dafür hat er sich einen Kassettenrekorder und ein Dutzend Tapes mit Sprachaufnahmen des verstorbenen Vaters gesichert. Während Roth schon von der Vermarktung des kommenden Bestsellers träumt, greift aber auch schnell wieder der Realismus durch und bringt ihn zurück auf den Boden der Tatsachen. Wenn es mit der späten schriftstellerischen Karriere nichts wird, dann hat er halt immer noch ein gutes Leben, zu dem er zurückkehren wird. Die Ankunft in Niendorf gestaltet sich für Roth bereits als Abenteuer, als er den unästhetischen, übergewichtigen Vermieter des Apartments kennenlernt: Markus Breda. Roth verkehrt nicht in solchen Kreisen wie Breda, würde sich niemals auf dessen Stufe herablassen. Roth hat in seinem Leben ja noch nicht einmal einen Döner probiert. Was auf dem Papier einfach erscheint, so gestaltet es sich für Roth schwierig, dem penetranten Vermieter zu entkommen. Neben seiner Aufgabe als Vermieter kümmert dieser sich auch noch um die Strandkörbe und ist zudem Pächter des hiesigen Schnapsladens, bei dem er und seine Lebensgefährtin Simone die einzigen Mitarbeiter sind. Was Roth nicht auffällt, ist seine Transformation zu dem, was er nie war, nie sein wollte. Als dann auch noch Alkohol ins Spiel kommt, driftet Roth allmählich das geregelte Leben aus den Händen und am Ende seines Trips wird er sich fragen müssen, was ihn noch von Breda unterscheidet und ob es nicht auch in Ordnung ist, sich nicht mehr mit der erstbestem, sondern vielleicht mit der fünftbesten Wahl zufrieden zu geben.

Auch wenn der Kern von "Ein Sommer in Niendorf" teilweise sehr ernst ist, habe ich selten bei einem Hörbuch schon einmal so gelacht. Und dabei war der Einstieg gar nicht so einfach. Heinz Strunk liest schnell, kam mir Anfangs noch wenig emotional vor. Doch meine Skepsis sollte sich schnell verflüchtigen. Strunk als Vorleser ist grandios. Als Mitglied des Comedy-Gespanns Studio Braun und seinen Podcasts bringt er hier all das mit ein, was er über die Jahrzehnte in der Industrie gelernt hat. Und so geschieht auch beim Leser und Zuhörer eine Verwandlung. Während Dr. Roth immer mehr zu dem wird, was er zutiefst verabscheut, werden wir, die Leser und Zuhörer, zu Roth. Und ich kann garantieren, wir werden uns mehr als nur einmal dabei ertappen, wo wir kaum anders sind als Strunks Durschnitt-Protagonist der im Verlauf dieser Geschichte zu einer Art Trash-Promi verkommt. Strunk schafft es einfach herrlich, den deutschen Zeitgeist in dieser Geschichte einzufangen. Wie er es vollbringt, aus einer Ostseeidylle einen schaurigen, beklemmenden Ort zu machen, da ist ihm ein beachtliches Kunststück gelungen. Zudem wird die Geschichte nahezu durchgehend von einem subtilen Ekel begleitet, den man in Worten kaum beschreiben kann. Heinz Strunk nimmt uns mit in jede versiffte Ecke und am Ende landen wir in der wohl dubioseste Kneipe, die man in der gesamten Ostsee nur finden kann - "Der Spinner" (vielleicht ja das Niendorfer-Äquivalent zum Goldenen Handschuh)

Strunk gibt beim vorlesen einfach alles. Mal sachlich nüchtern, mal dreist, mal verspielt, mal mit Gesangseinlagen und am Ende sogar mit einem Orgasmus. Es ist ein wahres Fegfeuer von einem Absturz und man kann sich gewiss sein auf dem rauen Kopfsteinpflaster zu landen oder irgendwo, noch immer im Vollrausch, an der Strandpromenade aufzuwachen. Und dennoch, trotz all der herrlichen Gags und Situationskomik, des Galgenhumors und was nicht noch alle dazu gehört, den Ernst der Lage verpasst und vergisst Strunk nie. Wann immer es der Roman möchte, kehrt er auch zu sehr ernsten und düsteren Themen zurück.



Fazit

"Ein Sommer in Niendorf" ist sicherlich ein Roman, der die Leser zweigeteilt hat. Wie immer bei Heinz Strunk gewollt provokant und ganz genau so gewollt kontrovers. Für mich war das Hörbuch-Erlebnis eine Lehrstunde darin, welche Richtungen die deutsche Literatur bestreiten kann. Ein Feuerwerk der Emotionen, in dem alles geboten wird von perfekter Unterhaltung bis hin zur absoluten Fremdscham. "Ein Sommer in Niendorf" ist fast schon eine schonungslose Dokumentation, die sich mit Abstürzen, Lebenskrisen und anderen Absurditäten auseinandersetzt. Kein Roman, kein Hörbuch, welches einfach so uneingeschränkt empfohlen werden kann. Aber wer bereit ist, sich auf diesen Trip einzulassen, der wird am Ende belohnt werden. Ich für meinen Teil habe jede einzelne Minute genossen.

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