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Mittwoch, 14. Juni 2023

Hörbuch-Rezension: Das Silmarillion (J.R.R. Tolkien)

 

Großbritannien 1977


Das Silmarillion

Autor: J..R.R. Tolkien
Herausgeber: Christopher Tolkien
Genre: Fantasy und Mythen
Kaufoptionen: CD, Audible
Sprecher: Achim Höppner
Laufzeit: 15 Stunden und 26 Minuten (Ungekürzte Lesung)



Ein Buch, das kaum mehr eine große Einführung benötigt, gilt es doch als eines der größten Fantasy-Werke der Neuzeit. Und doch ist es bis heute eines der größten unvollendeten Fantasy-Werke aller Zeiten. Das Silmarillion galt als das Hauptwerk Tolkiens, zu Lebezeiten konnte er dieses aber weder vollenden noch veröffentlichen. Das verfügbare Material zu den Chroniken Mittelerdes nahm schier unendliche Züge an, für Tolkiens Sohn Christopher eine Mammutaufgabe, die Werke seines Vaters posthum zu etwas "Ganzem" zu machen. Angefangen von der Schöpfung Mittelerdes durch des allmächtigen Ilúvatar und seinen Ainur bis hin zum Ende des dritten Zeitalters, wo der letzte Elb Mittelerde verlässt. Einstmals geplant als Nachfolgewerk zum Überraschungserfolg "Der kleine Hobbit", war Tolkien in Grund und Boden gestürzt, als das eingereichte Werk, sein Silmarillion, den Verlag eher verdutzt zurückließ. Diese wünschten sich eine direkte Fortsetzung zum Hobbit und keine trocken anmutende wie düstere Schöpfungsgeschichte mit einer Myriade komplizierter Namen und Begriffe. Als Sprachwissenschaftler verewigte Tolkien mit Sindarin und Quenya gleich zwei funktionierende Sprachen im Silmarillion, die beide ihre eigenen einzigartigen Begriffe und Aussprachen besitzen. Tolkiens Antwort auf die Kritik des Verlages war "Der Herr der Ringe", eine direkte, jedoch epischere, massive Fortsetzung zum Hobbit (kann man ja mal so machen). Mit dem Silmarillion hingegen hat Tolkien jedoch nie abgeschlossen. Bis an sein Lebensende werkelte und bastelte er daran, arbeitete sogar an eine Fortsetzung zum Herrn der Ringe im vierten Zeitalter angesiedelt, die er schnell wieder verworfen hat (der Prolog dazu ist in Christopher Tolkiens Abschlussband "The Peoples of Middle-earth" zu seiner zwölfbändigen Reihe "The History of Middle-earth" zu finden"). Tolkiens Perfektionismus und sein fortschreitendes Alter hinderten ihn daran, seinen Mittelerde-Zyklus jemals komplett fertigzustellen. Doch zu seinen Lebzeiten ist vieles zusammengekommen, Christopher Tolkien musste in dem ineinander verwobenem Werk seines Vaters "nur" eine Struktur finden. Eine Aufgabe, zu der vermutlich nur ein Sohn im Stande ist, der seinen Vater und sein Werk verehrte. Was 1977 entstanden und publiziert wurde, ist das Silmarillion, wie wir es heute kennen. Im laufe der Jahre erschienen mehrere Revisionen und Ergänzungen und zu seinen eigenen Lebzeiten schaffte es Christopher Tolkien (1924-2020) dann sogar noch, einen Wunsch seines Vaters wahr werden zu lassen und 3 der großen Geschichten im Silmarillion als lange Geschichten zu veröffentlichen.

Aber alles, was nach dem Silmarillion kam, waren Ergänzungen. Keine unnötigen Ergänzungen, aber fast alles aus dem Mittelerde-Zyklus findet man in ähnlicher Forum, meistens etwas kürzer, bereits im Silmarillion. Somit ist das Hauptwerk von J.R.R. Tolkien die erste Anlaufstelle, um die Schöpfungsgeschichte von Mittelerde in seiner Gänze erleben zu dürfen. Und das Unterfangen ist als Leser bereits eine Herausforderung. War der Hobbit noch ein Kinderbuch (an dem sich aber genau so gut auch Erwachsene, egal wie Alt, dran erfreuen können), ging es im Herrn der Ringe schon wesentlich düsterer zu Werke. Doch beide Bücher lockern die Stimmung mit Tolkiens herrlich britischem Humor auf, der immer wieder zum Vorschein kommt. Das ist beim Silmarillion anders. Die Stimmung dieser teils blutig brutalen aber auch traurigen Schöpfungsgeschichte ist durchgehend düster, finster, melancholisch. Ist nicht bereits der düstere Ton der Kurzgeschichten eine Herausforderung, so ist das Buch besonders zu Beginn wenig einsteigerfreundlich, sperrig und teilweise durch die vielen Namen von Personen sowie Ortschaften verwirrend. Ich selbst habe es mehrmals mit dem Buch probiert, aber konnte mich nie komplett dazu durchringen, es vollständig zu lesen.

Doch irgendwann kam ich auf eine Idee; wenn ich mich beim lesen so schwer tue, wieso lasse ich mir das Silmarillion nicht vorlesen? Aufgrund einer komplizierten Rechtelage war es Anfang der 2010er Jahre ein kleines Wunder, dass der gesamte Mittelerde-Zyklus als Hörbücher nun auch bei Audbible erscheinen konnte. Ich habe mich also kürzlich dazu entschlossen, das Silmarillion digital zu erwerben, alles kompakt in einer einzigen Datei vor mir auf meinem iPad zu haben und immer dann hören zu können, wenn ich die Zeit dazu habe. Für das bessere Verständnis wurde der Datei noch eine ausführliche PDF hinzugefügt, die auch über das Personenregister im Buch verfügt. Meine letzten Sorge war also, werde ich der Geschichte denn vorgelesen folgen können? Hier könnte noch alles schiefgehen, dachte ich mir. Aber ich wusste bereits vorab, dass hier mit Joachim "Achim" Höppner ein Sprecher engagiert wurde, der bereits mit Mittelerde vertraut war, werden ihn die meisten doch als deutsche Synchronstimme von Ian McKellen in der Filmtrilogie zum Herrn der Ringe kennen, wo er Gandalf seine Stimme lieh. Und an dieser Stelle muss ich direkt eines loswerden: Diese etwas mehr als 15 Stunden mit der Stimme von Achim Höppner zu verbringen war ein Hochgenuss, ein Erlebnis. Er hatte die richtige Stimme, um Tolkiens Worte einzufangen. Mit einer engelsgleichen Ruhe liest Achim Höppner die Schöpfungsgeschichte, kann aber auch gleichzeitig in dramatischen Momenten wie ein Vulkan ausbrechen und im richtigen Moment auch emotional sein. All das gepaart mit einer beeindruckenden Aussprache (die es in der Vertonung in den Filmen leider noch nicht gab) die, zusammen mit seiner markanten Stimme, dem ganzen die Krone aufsetzen.

Die Übersetzung des Silmarillion stammt vom mittlerweile verstorbenen Tolkien-Kenner Wolfgang Krege, der besonders durch seine kontroverse Neuübersetzung des Herrn der Ringe (auf denen die anderen Hörbücher des Hörverlags ebenfalls basieren) vielen in Erinnerung geblieben ist. Die Lesung ist rein vom Inhalt her ungekürzt, leider fehlen jedoch Hintergrundinformationen wie der lange Brief von J.R.R. Tolkien an seinen Verleger sowie das Vorwort von Christopher Tolkien, die allesamt nicht eingesprochen wurden. Was man also bekommt ist der pure Inhalt des Silmarillion und als Begleitheft die umfangreiche PDF, die jederzeit angewählt werden kann. Da ich hier ausschließlich die digitale Version bespreche, kann ich leider nicht sagen, ob diese PDF nicht das eingescannte Booklet ist, welches sehr wahrscheinlich der CD-Version beiliegen könnte.

Mit Ausnahme winziger Tonprobleme die vermutlich beim Zusammenschnitt entstanden sind, ist die Aufnahme glasklar und fehlerfrei.

Der Hörverlag setzte die Arbeit mit Achim Höppner für den ersten Teil des Herrn der Ringe fort. Die Arbeiten am zweiten Teil konnte Achim Höppner bereits nicht mehr beenden, da er Ende 2007 im Alter von nur 60 Jahren verstorben ist. Eine Nachricht, die mich bereits damals sehr traurig gemacht hat. Nicht minder beeindruckend wurde der verstorbene Achim Höppner durch Gert Heidenreich ersetzt, der seinen ganz eigenen Stil mit sich brachte, die ausstehenden beiden Herr der Ringe Bücher eingesprochen hat und auch heute noch als die deutsche Hörbuch-Stimme von Mittelerde gilt.



Fazit

Da es sich hier um eine Hörbuch-Rezension handelt, war es mir wichtig, weniger auf den direkten Inhalt des Buches einzugehen. Der wäre sowieso viel zu komplex für nur eine einzige Rezension und das wäre nicht zielführend. Abschließend dazu kann ich halt sagen, man muss dem Silmarillion ein wenig Zeit geben, bevor sich die Faszination dieser großartigen Fantasy-Geschichten entfaltet. Den Geschichten haftet teilweise eine große Melancholie an, sie sind blutig und voller Verrat und Misstrauen. Tolkien zeichnet hier eine Welt, die, wie es ihm oft nachgesagt wurde, eine Allegorie auf unsere echte Welt sein könnte. Herausragend eingesprochen und erzählt von Achim Höppner wurde das Hörbuch schon beinahe zu einem Hörspiel, und das ganz ohne Musikuntermalung und Soundeffekte. Und exakt daran erkennt man die Macht, die ein beeindruckender Sprecher besitzt, wenn er seine Hörer so sehr in den Bann ziehen kann. Wer Probleme hat, einen Zugang zum Buch zu finden, dem sei wärmstens empfohlen, dem Hörbuch mal eine Chance zu geben. Vorausgesetzt sind natürlich ein wenig Ruhe und Konzentration. Das Silmarillion ist keine seichte Unterhaltung und eignet sich, wenig überraschend, eher nicht für die Fahrt in Bus und Bahn, im Auto oder als unterhaltsame Ablenkung beim kochen.

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