Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 23. Mai 2022

Rezension: Life Lessons auf dem Amazonas (Pip Stewart)

 





Großbritannien 2021

Life Lessons aus dem Amazonas
Originaltitel: Life Lessons from the Amazon
Autorin: Pip Stewart
Erscheinungsdatum in Deutschland: 05.04.2022
Übersetzung: Violeta Topalova
Genre: Sachbuch, Reisebericht



"Ich kam gerade rechtzeitig zum Lagerfeuer zurück, um zu hören, wie Nereus, der Sohn des Dorf-Toshaos, uns Ratschläge für den Fall der Begegnung mit einem Jaguar gab: >>Lauft bloß nicht weg, dann erwischt er euch. Nehmt eure Macheten und macht euch bereit zu kämpfen<<, warnte er uns. Ich muss sagen, dass ich diese Gutenachtgeschichte nicht als besonders schlaffördernd empfand. Der Gedanke, einem Jaguar oder >>Tiger<<, wie unsere Führer sagten, zu begegnen, erfüllte mich nicht gerade mit Freude. Schäfchen zählen ist entspannender, so viel ist sicher. >>Oh, und nehmt immer eure Macheten mit, wenn ihr euch alleine erleichtern geht<<, fügte er hinzu."



Ein Buch, welches mich die vergangene Zeit in recht trübseligen Momenten begleitet hat war "Life Lessons auf dem Amazonas" von der Abenteurerin Pip Stewart. Wenn ich in ein Buch vertieft bin, versinke ich auch in die Geschichte. Ich kam nicht umhin, mich hier zu fühlen als würde ich mir gerade die Werner Herzog Klassiker Aguirre und Fitzcarraldo ansehen. Die einzigen beiden Ausnahmen bestehen darin, die Abenteuer in diesem Buch sind wirklich passiert und statt eines cholerisch-wahnsinnigen Klaus Kinskis erzählt eine charmante, witzige aber auch selbstkritische Abenteuerin von ihrer Reise mit zwei Freundinnen, die ziemlich unmöglich scheint. Wir haben es hier nämlich nicht mit irgendeinem trockenen Reisebericht zu tun, "Life Lessons auf dem Amazonas" ist viel mehr. Es ist, selbstverständlich, auch ein Reisebericht (der Widerspruch wird nun aufgeklärt). Aber der ist weder trocken noch ist es das vorausgehende Element dieses Buches. Es hat etliche Facetten. Bei knapp 350 Seiten erwartet die Leser ein Mix an Themenvielfalt die von Selbstfindung bis zu den sogenannten Lebenslektionen reichen. All das gelingt der Autorin zeitgleich zu der Erzählung ihres Abenteuers (welches schon ein kleines Epos an sich ist).

Das Vorhaben der drei Damen im Buch ist überraschend schnell erzählt. In rund 3 Monaten wollen sie etwas nie dagewesenes schaffen: Den abgeschiedenen Dschungel Guyanas durchqueren und anschließend mit einem Kajak den unbändigen Essequibo River überwinden. So simpel klang das auch, als die Ideengeberin Laura Bingham der euphorischen Pip Stewart ihre Pläne offenlegte und sie bat, an dieser Unternehmung, die schon in 8 Monaten stattfinden sollte, teilzunehmen. Außerdem würde noch eine weitere Freundin von Laura an der Unternehmung teilnehmen, Ness Night. Den ersten Dämpfer gab es für Pip bereits kurze Zeit später, als Pip's Lebensgefährte ihr klarmachte, dass sie Kajakfahren doch eigentlich absolut verabscheuen würde. Die Reise der rastlosen Journalistin stößt vor den gleichen Hürden wie jede große Unternehmung. Auf dem Papier hört sich etwas nach der besten Idee an, die es jemals gab. Man verfällt in Euphorie und möchte, dass es am besten sofort losgeht. Doch die Zeit verstreicht und auf einmal kommen Unsicherheiten und Zweifel sowie die berechtigte Frage dazu, ob man jemals wieder heimkehren wird. Die Reise in den Dschungel, ist das wirklich so eine gute Idee? Für circa 3 Monate von der Bildfläche zu verschwinden. Eine ungewisse Prämisse, die einen erwarten wird da man es hier mit einer unbezwingbaren Gestalt zu tun bekommt: Ein ungezähmter Dschungel, weit abgeschieden von der westlichen Zivilisation.

Die Abenteurerin Pip ist ein kleiner Widerspruch an sich. Sie erscheint rastlos, geplagt von unbändigem Fernweh und Abenteuern. Gleichzeitig ist sie aber auch ein ängstlicher und unsicherer Mensch. Ein Zitat von ihr zu Beginn des Buches macht dies noch einmal deutlich: "Ich habe auf dieser Reise meine Angst nicht überwunden; ich habe nur gelernt, mit ihr zu leben."
Dieses Zitat bezieht sich auf ein mehr als einjähriges Abenteuer zusammen mit ihrem Lebensgefährten, als dieser die Idee hatte vom damaligen Wohnort "Asien" mit dem Fahrrad zurück nach "Großbritannien" zu radeln (was mehr als 12 Monate in Anspruch nahm und Pip bereits an der ersten Hürde beinahe scheiterte). Sich seinen Ängsten und Dämonen zu stellen ist die größte Hürde, die wir überwinden müssen. Der Entdeckerdrang der Autorin ist jedoch größer als diese Ängste und Unsicherheiten, von denen sie häufig geplagt wird. Zu jedem Kapitel im Buch gibt es die sogenannten "Life Lessons - Lebenslektionen", die bereits im Titel vorkommen. Hierbei handelt es sich um kurze, motivierende Intermezzos die direkt an die Leser gerichtet sind. Die eigentliche Kunst hierbei ist, dass Pip Stewart nicht in irgendwelche Glückskeks-Floskeln oder Möchtegern-Esoterik abdriftet. Es sind aufrichtig gemeinte Worte, die vor jedem Kapitel noch einmal Antrieb geben. Aufgeteilt ist das Buch zudem in zwei Teile - "Im Dschungel" und "Auf dem Fluss". Der Weg ist das Ziel. Der Fluss ist in diesem Falle das Ziel, doch der Weg dahin ist der unberechenbare Dschungel. Beide Unternehmungen sind alles andere als ungefährlich, selbst mit Führung der Mitglieder des lokalen Stammes aus Guyana.

In diesem Buch gibt es bis auf farbliche Bilder im Innenteil der Klappenbroschur keine weitere Abbildungen. Es gibt ab und an Illustrationen im Buch wo eine Landkarte gezeigt wird, für alles andere wird aber die Fantasie und Vorstellungskraft der Leser vorausgesetzt. Gerne wird der Umfang von Reiseberichten mit Unmengen an Bildern gefüllt. Bei "Life Lessons auf dem Amazonas" handelt es sich aber schon beinahe um eine klassische Abenteuergeschichte, die sehr gut ohne Bilder auskommt. Und dennoch, einen kleinen Abschnitt mit Fotografien hätte ich natürlich begrüßt (hier wird man aber Online durchaus fündig. Im Copyright-Abschnitt des Bildes unterhalb des Fazits führt der Link zu einem lesenswerten Interview),




Abschließende Gedanken

"Life Lessons auf dem Amazonas" ist ein überraschend dickes Buch. Trotzdem wird die Reise nie langweilig. Das Buch ist der berüchtigte Eskapismus in eine fremde Welt, in die man sich für viele Stunden flüchten kann. Die charmante, witzige Art von Pip Stewart die Leser durch ihr erlebtes Abenteuer zu führen ist das eigentliche Highlight an diesem Buch. Wir haben es hier nicht mit einem nüchternen Dokumentarfilmer oder Abenteurer zu tun, hier berichtet eine absolut nahbare und sympathische Frau, die den großen Drang hatte, ihr großes Abenteuer niederzuschreiben. Für mich eine große Entdeckung in einem bisher sehr finsteren Jahr 2022. Für alle weiteren Abenteuer und Unternehmungen der jungen Mutter bleibt mir nur noch eines zu sagen: You Go, Girl!



Copyright: Medium, Peiman Zekavat
Von Links nach Rechts: Laura Bingham, Pip Stewart, Ness Knight

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen