Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Sonntag, 7. Mai 2017

Tag 7 Review: Shin Godzilla






Japan 2016

Shin Godzilla
Originaltitel: Shin Gojira
Regie: Hideaki Anno, Shinji Higuchi
Drehbuch: Hideaki Anno
Darsteller: Hiroki Hasegawa, Yutaka Takenouchi, Satomi Ishihara, Ren Osugi, Shinya Tsukamoto, Jun Kunimura
Laufzeit: Circa 120 Minuten
Genre: Kaiju, Katastrophenfilm, Satire
Verleih: Splendid
Premiere (Deutschland): 03.05.17 - 05.05.17 (limitiertes Kino-Event)
FSK: Ab 12



Wirft man die Namen einfach lose in die Runde, so scheint es zwischen dem grünen Kult-Monster Godzilla und Evangelion-Schöpfer Hideaki Anno nicht viele Gemeinsamkeiten zu geben (wobei ich nicht ausschließen würde, dass Anno dazu in der Lage ist, einen hochkonzentrierten Energiestrahl abzufeuern). Geht man aber etwas mehr ins Detail, fallen schnell zwei Gemeinsamkeiten auf. Sowohl Godzilla als auch Anno haben in ihren Bereichen Geschichte geschrieben. Das Filmstudio Toho verdiente Millionen mit Godzilla, Anno hingegen revolutionierte mit seiner Anime-Dystopie Neon Genesis Evangelion (Shin Seiki Evangelion) dieses Genre für immer. Während Godzillas erster Auftritt bereits über 60 Jahre zurückliegt, so gehört Evangelion aus dem Jahr 1995 (und noch immer steht ein finaler Kinofilm aus) zur modernen Popkultur. In den vergangenen Jahren ist es jedoch ruhig geworden, sowohl um Godzilla, als aber auch Hideaki Anno. Immer wieder bestätigt Anno, wie sehr ihm die Produktion an neuen Filmen aus dem Evangelion-Universum zusetzen und er mental regelrecht ausgemergelt ist, jedoch häufig Trost und Ruhe von seiner Frau erfährt. Die beiden Giganten schwächelten ein wenig und es liegt eine harte Zeit hinter den beiden Kultfiguren. Zeit für ein Reboot? Ein Reboot für Godzilla und Anno? Gar nicht mal so eine schlechte Idee, wird sich auch Toho gedacht haben.




Toho verkündete es damals selbst, mit Godzilla - Final Wars (Regie: Ryuhei Kitamura) sollte 2004 das riesige Monster in Rente gehen. Danach würde nichts mehr kommen. Mit Legendary Pictures erlangte erstmals seit dem Emmerich-Fiasko aus dem Jahr 1998 ein ausländisches Studio die Godzilla-Lizenz von Toho. Gareth Edwards (Rogue One) kreierte 2014 ein Teil-Reboot, was irgendwo zwischen Fortsetzung des Ur-Godzillas und Neuinterpretation pendelte. Trotz einer Überlänge und einer eher geringen Screentime von Godzilla selbst, wurde der Film von Kritikern und Fans akzeptiert und auch gelobt, an den Kinokassen war er sogar ein großer Erfolg. Dieser Erfolg imponierte Toho so sehr, dass sie es selbst noch einmal wissen wollten und planten mit "Shin Gojira" ein komplettes Reboot des Franchise. Man setzte alle Uhren auf 0 und das einzige, was den Produzenten zu einem erfolgreichen Reboot des Franchise verhelfen würde, war ein Regisseur, der sich nicht nur mit der Materie auskennt, wie man Tokyio filmisch in seine Einzelteile zerlegt, sondern auch das richtige Händchen dafür hat, so eine fiktionale Katastrophe gekonnt in Szene zu setzen. Es war beinahe eine logische Schlussfolgerung, dass die Wahl nur auf Hideaki Anno fallen konnte.

Anno jedoch für das Projekt zu gewinnen war nicht einfach. Seine Fans warten seit Jahren sehnsüchtigst auf den Abschluss der Evangelion Kinofilm-Saga. Ein vierter und letzter Film fehlt noch, genau den wollte Anno fertigstellen, bevor er mit dem Thema abschließen könne. Während Anno selbst skeptisch war, konnten die Produzenten bei Toho jedoch den ein oder anderen Mann aus Annos Team für das Godzilla-Reboot gewinnen. Die Überzeugungskräfte von Annos langjährigen Weggefährten war am Ende aber zu groß, um diesem Projekt eine Absage zu erteilen.

Die Marschrute für Shin Godzilla war schnell klar. Man musste erst einmal dem neuen Titel gerecht werden. Das Wort "Shin" kann in der japanischen Sprache vielseitig genutzt werden. Allen voran steht es für "Neu",  kann aber auch für "Echt" stehen. Je nachdem, mit welchem Kanji man das Wort schreibt, erhält man meistens einen Begriff, der zutreffend für Shin Godzilla ist. Oberste Priorität war es, alles auf Anfang zurückzusetzen und dabei das Original aus dem Jahr 1954 zu ignorieren (obwohl man es mit Fortsetzungen und Chronologie an sich nie wirklich genau genommen hat, der 1954 Film war aber meistens stets der Ausgangspunkt). Die Essenz des Originals durfte aber nicht verloren gehen. Der US-Godzilla aus dem Jahr 2014 hat es vorgemacht, Godzilla ist nicht das nette Monster aus der Nachbarschaft. Godzilla muss in erster Linie ein zerstörungswütiger Gigant sein, der nahezu unverwundbar ist. Doch der Titel "Shin" würde keinen Sinn ergeben, wenn wir es hier mit dem gleichem Godzilla zu tun hätten, der schon so oft Städte den Erdboden gleichgemacht hat. Der "Shin Godzilla" ist anders. Er verfügt über Metamorphosen. Jede einzelne Metamorphose macht das Monster noch mächtiger und praktisch unverwundbar. Dem Monster diesen Twist zu verleihen, das war etwas, wozu praktisch nur Hideaki Anno fähig war. Fans von Neon Genesis Evangelion werden hier unglaublich viele Gemeinsamkeiten mit den Engeln wiederfinden und dein ein oder anderen "Aha-Effekt" erleben.

Doch was geschieht abseits von Godzillas neuen Fähigkeiten? Erst einmal, Godzilla hat relativ viel Screentime in Shin Godzilla. Auch wenn ich nun nicht mit der Stoppuhr im Kino saß, so kommt jeder Fan des Monsters auf seine Kosten. Anno, der auch das Drehbuch geschrieben hat, trennte sich noch von einigen Nebenhandlungen wie einem Familiendrama und einer Liebesgeschichte. In Shin Godzilla gibt es keinen furchtlosen Held oder Wissenschaftler, der sich zum Wohl des Landes opfert, hier ist gleich die ganze japanische Regierung Godzillas neuer Gegner. Politiker und Bürokraten gegen die gigantische Riesenechse. Ein aussichtsloser Kampf? Da will ich nicht zu viel verraten. Doch hier kommen wieder Annos Stärken ins Spiel. Gesellschaftskritik und Satire. Der Film wandelt auf einem schmalen Grad zwischen Katastrophenfilm und Satire. In einer Szene lacht man noch über den Premierminister (übrigens großartig verkörpert von Ren Osugi), in der nächsten Szene passiert wiederum ein großes Unglück. Ein klarer Wink an das 2011 Erdbeben in der Tohoku-Region, welches einen verheerenden Tsunami mit sich führte und zu einer Kernschmelze im Kernkraftwerk von Fukushima führte. Der Film spricht die Katastrophen nicht direkt an, allerdings ist es unschwer zu erkennen, woran sich der Film orientiert.




Anders als noch im Jahr 1954, so hat sich auch die Technik der japanischen Filmkunst wesentlich gesteigert. Man weiß nun besser, geschickter mit CGI umzugehen. Was das für Shin Godzilla bedeutet? In den meisten Szenen können die Computereffekte auf ganzer Linie überzeugen. Hier und da gibt es aber auch mal die ein oder andere Szene, wo die Effekte relativ billig wirken können. Allerdings dürfte das für viele Godzilla-Fans ein Aspekt sein, den man eher als interessant statt negativ bewertet. So ist es wenig überraschend, auch der Shin Godzilla besteht komplett aus CGI, auch wenn man manchmal immer noch das Gefühl hat, hier könnte ein Schauspieler unter einem Latexkostüm stecken. Dieser Look war jedoch so gewollt. Ist Godzilla erst einmal am wüten, so sind dabei einige wundervolle Effekte entstanden, die beweisen, dass das Konzept vollends aufgegangen ist. Untermalt werden diese Szenen oftmals mit dem original Godzilla-Theme von Akira Ifukube. Und was die Evangelion-Fans angeht, bei der Musik könnt ihr erneut eure Finger reiben, denn da wird es noch eine kleine Überraschung geben.

Mit einer Laufzeit von 2 Stunden haftet auch Shin Godzilla eine leichte Überlänge an. Anders als bei der 2014 US-Version schafft Shin Godzilla es aber, den Leerlauf besser zu kompensieren. Und das ohne einen festen Cast an Protagonisten. Bei Shin Godzilla ist es das gesamte Kollektiv, was hier auch außerhalb der actionreichen Szenen noch für Unterhaltung sorgt. Es sei jedoch gesagt, die politische Natur ist dem Film nicht von der Hand zu weisen. Auch sollte man mit dem Thema Japan - Kultur, Politik und Popkultur schon vertraut sein, um besonders die Szenen mit satirischen Hintergründen unbeschwert genießen zu können. Leider lief die Version mit O-Ton nur ein paar Tage später zu einer grausamen Uhrzeit, von daher kann ich hier nur über die deutsche Vertonung reden. Doch hier hat Splendid gute Arbeit geleistet und recht interessante Sprecher gewählt, was immer mehr zu einer Seltenheit bei japanischen Filmen wird. Der Humor kommt durchaus auch in der deutschen Vertonung nicht zu kurz.

Schauspielerisch findet man neben routinierten Darstellern wie Ren Osugi und Jun Kunimura auch eine menge noch recht junger Darsteller, die, auch das ist eine kleine Überraschung, bereits in der Live-Action Verfilmung von Attack on Titan mitgespielt haben. Als zweiter Regisseur war hier ebenfalls noch Shinji Higuchi tätig, der für die ziemlich verunglückte Adaption von Attack on Titan als alleiniger Regisseur verantwortlich war. Auch gibt es noch viele interessante Cameo-Auftritte in Shin Godzilla, insgesamt 6 bekannte japanische Regisseure sind hier zu finden. Für westliche Zuschauer wird wohl die Rolle von Shinya Tsukamoto (Tetsuo) am relevantesten sein.




Resümee

Mit minimalen Schönheitsfehlern steuert Shin Godzilla beinahe die Höchstwertung in meinem Ranking zu. Hideaki Anno liefert hier nach vielen Jahren mal wieder einen relevanten Kinofilm aus Japan ab. Vielleicht sogar einen der relevantesten Filme seit Kinji Fukasakus Filmadaption zu Battle Royale aus dem Jahr 2000. Fans von Godzilla und Anno werden sowieso auf ihre Kosten kommen, aber Shin Godzilla besitzt auch die Fähigkeit, Leute mitzureißen, die mit dem japanischen "Kaiju-Genre" (Monsterfilme) relativ wenig zu tun haben. Die Themen im Film sind aktuell und mit feinem Humor teilweise herrlich überspitzt. Im Kern bleibt aber Shin Godzilla das, was er schon immer war, ohne seinen Charme einbüßen zu müssen. Ein gigantischer Katastrophenfilm, sowohl hinter als auch vor der Kamera exzellent besetzt. Splendid gebührt hier noch der Dank, dass sie den limitierten Release in deutschen und einigen österreichischen Kinos möglich gemacht haben. Hoffen wir mal, dass das Projekt anklang fand. Der Heimkino-Release wird bereits voller Sehnsucht erwartet.

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