Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Freitag, 19. Mai 2017

Rezension: Geständnisse (Kanae Minato)



(Foto: ©Ayako Shimobayashi)




Japan 2008

Geständnisse
Originaltitel: Kokuhaku
Autorin: Kanae Minato
Verlag: C. Bertelsmann
Übersetzung: Sabine Lohmann nach einer englischen Übersetzung von Stephen Snyder
Veröffentlichung: 27.03.2017 beim C. Bertelsmann Verlag
Genre: Gesellschaftsdrama, Mystery-Thriller (Iyamisu)



"Ich frage mich, was für ein Bild die Leute sich wohl von dieser Lunacy machen. Überlegt mal, würde eine schöne junge Frau sich freiwillig als unzurechnungsfähig bezeichnen? Wenn man von Gesetzes wegen keine Bilder von jugendlichen Mördern veröffentlichen darf, warum dann die Leute dazu verleiten, sich jemand Hübsches vorzustellen? Besser, man würde stattdessen ein fingiertes Bild von der Person unter die Leute bringen, ein Foto von einer bösartig grinsenden Verrückten. Warum denn nicht zeigen, was für eine Sorte Mensch so jemand ist? Wenn wir sie stattdessen in Watte packen und jede Menge Aufhebens um sie veranstalten, bestärken wir sie dann nicht noch in ihrem Narzissmus? Und werden sich dann nicht noch mehr törichte Kinder dazu angeregt fühlen, sie zu verehren? Und vor allem, wenn ein Kind ein derartiges Verbrechen begeht, obliegt es dann nicht den Erwachsenen, so diskret wie möglich damit umzugehen und dem Verbrecher die Schwere seines Vergehens unmissverständlich klar zu machen? Diese Lunacy wird ein paar Jahre in irgendeiner Erziehungsanstalt verbringen, vielleicht irgendeine Art von Abbitte verfassen, und dann zurück in die Gesellschaft entlassen werden, sehr wohl wissend, dass sie als Mörderin straffrei davongekommen ist."
(Geständnisse: Kanae Minato. Verlag: C. Bertlesmann. Übersetzung: Sabine Lohmann)



Die grundlegende Frage, die im Vorfeld geklärt werden muss: Wer hat sich denn nun verspätet? Die deutsche Übersetzung zu Kanae Minatos "Kokuhaku", oder meine Besprechung zur hier präsentierten Ausgabe? Nun, ich bin mal so bescheiden und markiere hier ein Unentschieden. Diese leicht sarkastische Bemerkung ist hier natürlich nicht an den Verlag gerichtet, sondern an die deutsche Leserschaft, die über die Jahre hinweg von "Autoren" wie Fitzek, Tsokos und Co. durch Krimis vom Fließband literarisch beschallt wurde. Ein Roman wie "Geständnisse" wird an vielen Lesern wohl vorbeirauschen, was überaus schade ist. Zum einen, weil es ein Verlust für jeden Fan spannender Literatur ist, zum anderen aber auch, weil die geringe Beachtung solcher Titel dafür sorgt, das die Verlage sich von der japanischen Literatur noch weiter distanzieren. Im Fall von Geständnisse, so scheint der C. Bertelsmann Verlag hier aber wohl doch einen Treffer gelandet zu haben. Der Roman kam bei sämtlichen Kritikern gut an und fand selbst eine besondere Erwähnung in der Sendung "Druckfrisch" von Literaturkritiker Denis Scheck.

Obwohl Leser meines Blogs meine ausufernden Abschnitte über den Inhalt eines Buches so langsam kennen dürften, so werde ich diesen Teil aber diesmal bewusst verkürzen. Einen Roman wie Geständnisse sollte man völlig unvoreingenommen angehen. Es reicht völlig aus, sich die kurze Inhaltsangabe auf der Rückseite des Schutzumschlages der deutschen Ausgabe durchzulesen. Meiden sollte man dafür die ausführliche Inhaltsangabe, die auf der Innenseite des Schutzumschlages zu finden ist, sobald man den Buchdeckel öffnet. Genau das dürfte auch die Intention der Autorin sein. Der Leser soll sich zurücklehnen, sich in Sicherheit wiegen und sich von der Autorin führen lassen. Bis zur ersten Offenbarung braucht Kanae Minato etwas über 20 Seiten, von da an nimmt die entspannte Unterrichtsstunde eine unerwartete Wendung und driftet förmlich in einen furchtbaren Alptraum ab.

Geständnisse hält sich nicht mit einem ausufernden Prolog auf, sondern führt direkt zum Kern der Geschichte. Anfangs wird der Leser noch sehr verdutzt sein. Die Eröffnung liest sich wie der Monolog einer Person, die am Rande des Wahnsinn ist und Selbstgespräche führt. Es gibt keine Wörtliche Rede oder andere, zigfach durchgekaute Stilmittel dieses Genres. Genau das macht die Eröffnung von Geständnisse so einzigartig. Schon auf den ersten Seiten wird der Leser mit Yuko Moriguchi konfrontiert, einer Lehrerin, die ihrer Klasse einen letzten Vortrag hält, weil sie anschließend ihren Beruf als Lehrkraft aufgeben wird. Schnell wird klar, dass Moriguchi hier keinen gewöhnlichen Vortrag hält. Man wird die Frau als altklug und unterkühlt ansehen, als eine Lehrerin, die ihre Schüler ihre gesamte Laufbahn eigentlich immer nur als Belastung ansah. Je weiter der Vortrag aber geht, umso mehr wird auch der Leser wissen, dass hier weder Moriguchi, noch aber die Schüler diese Geschichte unbeschadet überstehen werden.

Die Gesellschaftskritik in Geständnisse wird sehr schnell deutlich. Auch wenn hier sehr speziell typisch japanische Probleme (Schulsystem, Jugendstrafrecht etc.) im Mittelpunkt stehen, so sollten auch westliche Leser keine all zu großen Probleme haben, die hier geschilderte Gesellschaftskritik nachvollziehen zu können. Es sind auch, rund 9 Jahre nachdem der Roman in Japan erschienen ist, noch immer aktuelle Themen. Kanae Minato schreckt hier auch nicht zurück, Taten auf wahren Begebenheiten in ihre Geschichte mit einzuweben. Das prominenteste Beispiel sind hier wohl die bizarren Morde von Kobe aus dem  Jahr 1997, wo ein damals 14 jähriger Schüler (in der Öffentlichkeit nur als "Junge A" bekannt) einer Junior High School zwei Grundschüler auf bestialische art und weise ermordet hat. Dieser Fall sorgte in Japan dafür, dass das Jugendstrafrecht im Jahr 2001 von 16 auf 14 gefallen ist und noch einige andere gesellschaftliche Revisionen mit sich führte (einige Jahre später erhielten auch Videospiele in Japan vorgeschriebene, strenge Altersfreigaben, die auch heute noch nicht gelockert sind).

Gerne wird Geständnisse mit "Gone Girl" von "Gillian Flynn" verglichen. So heißt es, Geständnisse sei die japanische Antwort auf Gone Girl. Nicht nur ist Gone Girl aber rund 4 Jahre später erschienen, auch thematisch haben beide Werke, ausgenommen einiger Parallelen rund um die drastischen Beschreibungen einiger Passagen sowie die vielen unerwarteten Wendungen, absolut nichts gemeinsam. Ich fand Gone Girl, zu meiner Überraschung, ziemlich gelungen und kann interessierten Lesern nur raten, beide Werke nicht miteinander zu vergleichen. Viel mehr schlägt Geständnisse eher in eine Kerbe wie Battle Royale. Mag der Vergleich anfangs kurios wirken, so werden die Gemeinsamkeiten im laufe der Geschichte deutlich.

Im Jahr 2010 verfilmte der japanische Regisseur Tetsuya Nakashima, geprägt von seinem Stil, äußerst erfolgreich den Roman von Kanae Minato. Ich muss sogar gestehen, die großartige Eröffnung von Geständnisse erzielt im Film durch die geniale Inszenierung eine sogar noch größere Wirkung. Man kann sagen, Nakashima ist dem Roman relativ treu gefolgt. So treu gefolgt, wie es bei über 100 Minuten Spielzeit möglich ist. Der Roman glänzt jedoch von großartig beschriebenen Charakteren und, ganz besonders, die Entwicklung der Charaktere. Etwas, was in einer Filmadaption meistens, wenn nicht sogar immer, den Kürzeren zieht. Der Roman erscheint in der Gesamtwertung logischer, runder und vollkommener. Dies darf aber in keinster weise die gelungene Adaption von Nakashima abwerten. Ich empfehle jedoch, da man nun endlich die Möglichkeit zur Auswahl hat, das Buch zu lesen bevor man den Film schaut.

Jetzt folgt noch ein kurzer Abschnitt, der mir dann doch sehr am Herzen lag. Die Übersetzung. In meiner Vorschau zu Geständnisse habe ich bereits im Vorfeld kritisiert, die hier vorliegende deutsche Übersetzung von Sabine Lohmann basiert auf einer englischen Übersetzung von Stephen Snyder des Mulholland Verlags. Gründe, wieso man sich hier gegen eine Übersetzung aus dem Japanischen entschieden hat, gibt es viele. Der Hauptgrund werden wohl die zusätzlichen Kosten gewesen sein. Dafür steht jedoch für eine Hardcover-Ausgabe ein attraktiver Preis von 16,99 Euro als Pro-Argument im Raum. Wichtig ist jedoch, ob die deutsche Übersetzung gut lesbar ist. Und genau dies ist hier der Fall. Die Übersetzung liest sich absolut flüssig, die Auswahl der Begriffe ist ebenfalls optimal gewählt. Als Referenz fehlt mir natürlich hier die japanische Ausgabe (die ich an sich nicht beurteilen könnte), aber auch die englische Ausgabe hielt ich noch nie in den Händen (wobei ich mir hier eine Leseprobe hätte zusenden lassen können, was ich aber, ebenfalls bewusst, nicht getan habe, um am Ende nicht voreingenommen zu wirken, wenn ich die deutsche Übersetzung lese). Auch wenn ich, und daran wird sich nichts ändern, immer eine Übersetzung aus der ursprünglichen Sprache vorziehe, an der Übersetzung von Sabine Lohmann gibt es nichts auszusetzen, dementsprechend sehe ich hier aktuell keinen Verlust in der gesamten Qualität der Übersetzung.




Resümee

Geständnisse gehört sicherlich mit zu den einflussreichsten japanischen Romane der vergangenen 10 Jahre. Nun kommen auch endlich deutsche Leser in den Genuss dieses starken Romans einer hierzulande unbekannten, jungen Autorin. Geständnisse war als Film schon bildgewaltig, aber auch die Romanvorlage muss sich hier absolut nicht verstecken. Bitterböse Gesellschaftskritik trifft Mystery-Thriller. Ein frisches, unverbrauchtes Gesamtpaket. Man sollte dieses Buch luftdicht versiegeln, damit uns diese Frische auch noch über Jahre erhalten bleibt, die sonst einmal mehr von der endlos langweiligen Monotonie der Massenware zurückgedrängt wird.

1 Kommentar:

  1. Ah, ich wusste doch, dass mir das bekannt vorkommt. Den Film habe ich schon zweimal gesehen. Er beginnt auch im Klassenraum, nicht wahr?

    Hmm... damit würde mir das Buch vermutlich nicht mehr soviel Spaß machen, weil ich die Handlung schon erahnen würde. Schade.

    Aber vielen Dank für die Rezension. :)

    AntwortenLöschen