Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 16. März 2021

Review: Cherry

 

Apple TV+








USA 2021

Cherry
Alternative Titel: Avengers im Golfkrieg, Spider-Man Homecoming
Deutscher Titel: Cherry - Das Ende aller Unschuld
Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Originalvorlage: Nico Walker 
Darsteller: Tom Holland, Ciara Bravo, Jack Reynor, Michael Gandolfini, Jeff Wahlberg
Genre: Drama, Kriegsfilm, Dark Comedy
Verleih und Stream: Apple TV+
Premiere: 12.03.2021 (DE)
Laufzeit: Circa 142 Minuten
FSK: Ab 18 (laut Apple TV+)




Während ich mir bei den Alternativtiteln des Films einen kindischen Spaß erlaubt habe, so ist der deutsche Titel aber echt. "Cherry - Das Ende aller Unschuld". Während der englische Titel so knackig kurz wie eine Kirsche selbst ist, so ist der deutsche Titel mal wieder eine Vollkatastrophe, der bei unserer an sich schon viel zu ausufernden Landessprache einfach nur unnötiger Ballast ist. Wer auch immer sich diese zusätzlichen Titel ausdenkt; nicht machen, hört sich völlig bescheuert an und schreckt eher interessierte Abonnenten ab, die von dem Film im Vorfeld noch nichts gehört haben. Disney würde vermutlich sagen, hierbei handle es sich um eine sehr verföhnte und unverfrorene Angelegenheit.

Und somit bleibt es ganz einfach bei "Cherry". Da ist er endlich, der erste Post-Avengers Film der Russo Brüder (Anthony und Joe). Ein Kreis schließt sich, der Begriff "Homecoming" ist hier gar nicht so absurd. Geboren und aufgewachsen in Cleveland, kehren die Brüder nach einer Weltenodyssee der Marvel Studious zurück in die Heimat. Und mitgenommen haben sie Adoptivsohn Tom Holland. Obwohl die vielen Superhelden Anspielungen zu Cherry relativ lahm sind, so drängen sie sich förmlich auf. Nicht nur fühlt sich Cherry teilweise wie eine bunte, furiose Adaption eines Comics an, die komplette Botschaft dahinter ist deutlich. Um eine andere Adaption eines bekannten Comics zu zitieren: "Entweder du stirbst als Held, oder du lebst lang genug um der Böse zu werden". Rund 1 Million Dollar sollen es sich die Russo Brüder haben kosten lassen, Autor Nicholas Walker die Filmrechte abzukaufen. Das gleichnamige Buch erschien 2018 und entwickelte sich zum Geheimtipp. Das Buch selbst basiert größtenteils auf den eigenen Erlebnissen von Walker, einem Kriegsveteran der nach der Heimkehr unter PTSB litt, den Drogen verfallen ist und zum Bankräuber wurde, um seine Süchte zu stillen. Walker wurde für seine Vergehen zu 11 Jahren Haft verurteilt, kam aber aufgrund guter Führung 2019 wieder frei. Aktuell arbeitet er sogar an seinem zweiten Buch. Interesse, als Produzent bei der Verfilmung dabei zu sein, gab es nicht, Walker geht sogar noch weiter, er plane nicht, sich den Film anzusehen (wer's glaubt).

Seien wir aber mal ganz ehrlich. Walkers Buch ist Fiktion und nicht autobiografisch. Die Liebesgeschichte gab es meiner Recherche zu urteilen nie und sehr wahrscheinlich wird sich das Leben des sechsunddreißigjährigen nicht wie ein Comicbuch abgespielt haben. Allerdings ist genau dieses Buch der Stoff für Hollywood. Eine amerikanische Geschichte über gefallene Helden und wie sie wieder rehabilitieren. Und genau hier kommen die Russo Brüder ins Spiel die einen Exklusivvertrag mit Apple abgeschlossen und einen Big Budget Film für den Streamingdienst Apple TV+ produziert haben. Dass die Russos zum kleinen Independent-Film zurückkehren würden, dürfte also vermutlich die Übertreibung des noch jungen Jahrzehnts sein, denn Cherry ist auf Hochglanz getrimmt und vermutlich sind die Kapiteleinblendungen im Film bereits so teuer wie ein kleiner Indie-Film. Mit einem Budget von nur 40 Millionen Dollar allerdings auch schon wieder irgendwo ein Schnäppchen, der letzte Film der Brüder war knapp 9 mal so teuer.

Doch wo kann man Cherry denn genau nun einordnen? Die Frage stelle ich mir, seitdem der Abspann lief. Man könnte beinahe meinen, die Russos hätten heimlich das Script von WandaVision gelesen. Denn ungefähr das ist der Stil von Cherry. Hier werden mehrere ikonische Werke als Vorlage genommen, um etwas eigenes zu erschaffen. Der Film beginnt ähnlich wie Trainspotting mit einer Vermählung eines Teenager-Dramas (kurioserweise ist Cherry, sobald die harten Drogen ins Spiel kommen, kein bisschen wie Trainspotting). Beim Kriegsfilm-Segment geht es weiter mit Full Metal Jacket. Bei den Szenen in der Grundausbildung präsentieren die Russo Brüder das Bildformat in bester Kubrick-Manier hier sogar im 4:3 Format. Der Film wird anschließend zu einem waschechtem Drogendrama (aber nicht, bevor Protagonist Cherry noch einmal wie Frank Underwoord aus House of Cards direkt und sarkastisch mit den Zuschauern spricht). Mit einer Laufzeit von rund 142 Minuten (inklusive Abspann) prescht der Film von einem Ereignis zum nächsten. Es gibt praktisch keine Minute im Film, wo nicht irgendwas passiert. In dieser doch beachtlichen Laufzeit hat der Film überraschenderweise wenig bis gar keinen Leerlauf zu bieten, was gleichzeitig die größte Stärke und die größte Schwäche des Films ist. Cherry hat ein ausgesprochen gutes Film-Pacing, allerdings ist dieses so rasant, es schadet dem Film dabei. Besonders holprig wirken hier die einzelnen Charaktere, die trotz des bunten Looks des Films relativ farblos daherkommen. Eine wirkliche Entwicklung der Charaktere gibt es einfach nicht. Sie schlittern von ein Segment in das nächste. So entwickelt sich auch die Beziehung zwischen Cherry und seiner langjährigen Freundin Emily mehr kurios als glaubhaft. Während die Liebe auf den ersten Blick noch halbwegs glaubhaft ist, geht es anschließend so mit den beiden weiter: "Ok wir sind jetzt zusammen, lass uns Sex haben", "Emily macht mit mir Schluss. Es kann nur eine Lösung geben, ich werde mich noch heute und bei der Army einschreiben", "Alles klar, wir steigen von Beruhigungsmitteln auf Heroin um und sind nun Junkies". Natürlich kann sich ein Film für all diese Entwicklungen nicht jedes mal 30 Minuten Zeit nehmen, bis sie für die Zuschauer nachvollziehbar oder glaubhaft sind. Aber Cherry hat dann doch schon ein wesentlich größeres Problem überhaupt auch nur ein Fünkchen Authentizität rüberzubringen. Bis zu einem gewissen Punkt ist das sogar weniger auffallend und fällt nicht negativ ins Gewicht. Sobald das Segment rund um den zweiten Irakkrieg allerdings vorbei ist (welches ruhig hätte länger gehen können und man dafür bei dem Drogen-Segment eingespart hätte) und die beiden Protagonisten zu Vollzeit-Junkies werden, da hat der Film auf einmal große Probleme, sich für eine Richtung zu entscheiden. Und in diesen Momenten hat man große Schwierigkeiten, die Entwicklungen der Charaktere glaubhaft zu erklären.

In diesem letzten Abschnitt schaffen es die Russos nicht, sich für einen bestimmten Stil zu entscheiden. Soll es weiter derben Humor zu ernsten Themen geben oder driften wir in ein schonungsloses Larry Clark Teenager-Drama* ab (obwohl die Charaktere in Cherry glaube ich Twens sind*)? Die Russos haben sich hier eher für den düsteren Stil entschieden, was dem Film eher nicht gut getan hat. Wenn ich die Wahl hätte, ob ich Larry Clark oder Danny Boyle kopieren soll, würde die Wahl für mich nicht schwer fallen wenn mein Film bereits ähnlich wie Trainspotting beginnt.

Schauspielerisch haben die Russos fast ausschließlich auf eine neue Generation an Darstellern gesetzt. Leider kommen auch diese im Film dann, wie schon die Protagonisten, zu kurz. Besonders interessant fand ich Cousin Joe, der hier von James Gandolfinis Sohn Michael gespielt wird (und von dem wir hoffentlich noch viel sehen werden). Mit Jeff Wahlberg hat es auch ein Neffe von Mark und Donnie Wahlberg in den Cast geschafft. Forrest Goodluck kannte man zum Beispiel bereits aus The Revenant oder Dontnod's aktuellem Videospiel Tell Me Why. Aber der Fokus liegt hier natürlich auf die beiden Protagonisten Cherry und Emily, gespielt von Tom Holland und Ciara Bravo. Es hieß vorab, Tom Holland bräuchte mal eine Rolle, wo er mehr aus sich herauskommen könnte. Erst einmal muss ich sagen, ein so junger Darsteller wie Tom Holland hat noch nicht den Druck, sich in solch komplexen Rollen beweisen zu müssen. Als der zweite Golfkrieg losging war Tom Holland vermutlich nicht älter als 7 Jahre alt. Wenn man mich nach der Sichtung des Films aber nun fragen würde, ob Tom Holland Cherry mehr braucht als Cherry Tom Holland, würde ich ohne zu zögern Antwort Nummer 2 wählen. Cherry braucht Tom Holland, denn ohne Tom Holland wäre Cherry vermutlich nur ein sehr verspielter Film, der in der Masse dieses Genre untergehen würde. Der gebürtige Brite hat das Maximum aus dieser Rolle rausgeholt, etwas, was ihm vermutlich viele nicht zugetraut hätten. Ähnlich erging es mir da aber auch bei Ciara Bravo, die hier eine sehr starke Performance abliefert. Die Macken, die der Film hat, sind nicht die Schuld der Darsteller. Zum Beispiel, selbst in den übelsten Drogenexzessen wirkt Cherry leider nie auch nur ansatzweise so dreckig wie beispielsweise Trainspotting. Oder wie wäre es mit einem aktuellerem Beispiel, Climax von Gaspar Noé, der ebenfalls sehr bunt aber für einen Drogenfilm immer noch sehr dreckig und schonungslos ist. Der auf Hochglanz getrimmte Look von Cherry hat seine positiven Aspekte, aber genau wie das Pacing kann man diesen Aspekt dem Film im letzten Abschnitt noch als Kritikpunkt auslegen.




Fazit

Cherry wurde von Kritikern und Zuschauern mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Und so ergeht es auch mir. Meine Zeit mit dem Film habe ich auf keinen Fall bereut, allerdings stehen sich die Russo Brüder hier manchmal zu sehr selbst im Weg, da sie sich nicht von ihren filmischen Spielereien trennen können, wenn es angebracht wäre. Hier steckt einfach noch zu viel Marvel in ihnen, was vermutlich nach so vielen Jahren Avengers (die mit Endgame den kommerziell erfolgreichsten Film aller Zeiten hervorgebracht haben) nicht einmal verwunderlich ist. Schaut man sich die kommenden Pläne der beiden Filmemacher an, gehören sie wohl zweifellos noch immer zu den wohl gefragtesten Blockbuster-Regisseuren, die Hollywood derzeit zu bieten hat. Cherry hat und wird daran nichts ändern. Und wieso sollte man darüber auch diskutieren, denn Cherry ist weit entfernt davon, ein schlechter Film zu sein. Es war eine bewusste Entscheidung, die Brüder haben sich schon vor einiger Zeit für diesen Film entschieden. Was bleibt, ist ein interessantes Konzept über einen gefallenen Helden der seine Geschichte in einer Zeitspanne von knapp 20 Jahren erzählt, es der Geschichte aber zu oft an Relevanz fehlt. Die Darsteller hingegen holen aus den doch recht dünnen Figuren das Maximum raus und wissen durchgehend zu überzeugen. Insgesamt dürfte es schwer werden, Cherry richtig einzuordnen. So wird am Ende die Frage bleiben, ob die Russo Brüder hier ein ernstes Kriegs- und Drogendrama abgeliefert haben, oder eine weitere Comic-Adaption. Wer sich eine eigene Meinung bilden möchte, der Film ist seit dem 12.03.2021 frei verfügbar für alle Abonnenten von Apple TV+.

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