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Freitag, 26. März 2021

Rezension: Der große Sommer (Ewald Arenz)

 





Deutschland 2021


Der große Sommer
Autor: Ewald Arenz
Veröffentlichung: 26.03.2021
Genre: Coming of Age Roman
Format: Hardcover, E-Book


"Ich war in einger ganz eigenen Stimmung, wie ich sie vorher noch nicht erlebt hatte. Die halbe Nacht hatte ich an Beate gedacht und war früh aufgestanden. Dann die Urlaubsaufregung der anderen, ihre Abfahrt und ich allein an diesem ersten Ferienmorgen. Es war ein Gefühl wie ... als wäre man ein Instrument, das gestimmt wurde. Sechs Saiten. Aufregung. Verliebtheit. Angst vor dem Sommer. Freude am Sommer. Sich bei Nana zu Hause fühlen. Sich in Großvaters Haus verloren fühlen. Die Töne stimmten noch nicht. Aber da drin geschah irgendwas. Ich hörte Nana weiter zu."


Ich denke, ob bewusst oder unbewusst, waren wir alle schon einmal nach ihnen auf der Suche. Entweder nach der Murakami-Frau (oder Mann) oder aber diesen einen perfekten Sommer. Oder auf der Suche nach beidem. Das eine schließt das andere nicht aus denn dieser eine große Sommer ist eigentlich immer mit der ersten großen Liebe verbunden. Dieser einzigartigen Verliebtheit, die einen um den Schlaf bringt. Ich muss nur den Titel des neuen Romans von Ewald Arenz verinnerlichen: "Der große Sommer". Ich gehe tief in mich und muss überlegen, ihn je erlebt zu haben. Meine Generation kann man wohl als Zwischending ansehen. Geboren 1987 bin ich weder ein Kind der 80er, aber auch kein richtiges Kind der 90er. Leute, die am Ende eines Jahrzehnts geboren werden durchleben irgendwie alles und nichts. In dem Sinne sehe ich mich als Zwischending wo Technik wie Handys und das Internet langsam anfingen, das Leben der Menschen zu beeinflussen. Aber Sommer für mich noch immer bedeute, draußen eine gute Zeit mit Freunden zu haben. Und mit etwas Glück mit Mädchen über Dinge zu quatschen, die nicht in typisches "Ihr Jungs seid so doof" ausarteten. Der Protagonist in "Der große Sommer" muss sich mit zumindest mit der Technik noch nicht befassen. Friedrich (von seinen Freunden Frieder genannt) ist 16 Jahre alt und die Geschichte spielt zu Beginn der 80er. Da waren Begriffe wie Handys und Internet in Deutschland noch sehr weit entfernt. Aber mit 16 hatte man auch in den 80ern halt andere Probleme und vermutlich war man damals noch mehr als heute auf der Suche nach diesem einzigartigen, einmaligen Sommer und der ersten großen Liebe.

Der große deutsche Coming of Age Roman ist in der heutigen Zeit nicht mehr ganz so präsent. Die meisten Stories dieser Art bei neueren Romanen haben zu häufig auch noch historische Bezüge und die Teenager-Probleme des Protagonisten, seine Sorgen, Ängste und Gefühle sind dabei dann eher zweitrangig. Eine Rückkehr zu diesem klassischen Coming of Age Roman, wo wir als Leser zurück in unsere eigene Jugend katapultiert werden, weil wir uns, in welcher weise auch immer, mit den Figuren im Buch verbunden fühlen, ist Ewald Arenz hier mit absoluter Brillanz gelungen. Arenz, 1965 geboren (und wenn ich mich zurecht zurückerinnere, das gleiche Jahr, in dem auch der Protagonist in seinem neusten Roman geboren ist), gilt zumindest als Schriftsteller (denn er ist auch noch als Bühnenautor für das Theater aktiv) trotz all der Erfolge bei vielen Lesern noch als Geheimtipp, obwohl der Lehrer aus dem Süden Deutschlands eine mehr als beachtliche Vita vorzuweisen hat. Ich selbst bin erst durch den zuletzt veröffentlichten Roman "Alte Sorten" (2019) auf ihn aufmerksam geworden. Und ganz selten vermochte es ein deutschsprachiger Autor bisher, mich so sehr von seinem Schreibstil einfangen zu lassen. Wer meinen Blog verfolgt, der weiß, ich befasse mich hier zum größten Teil mit Literatur aus dem asiatischem Raum. Aber in den vergangenen Jahren haben es auch immer wieder sehr gelungene Romane aus dem Raum Deutschland/Schweiz zu mir geschafft.

Die Geschichte selbst ist schnell erklärt und sie kommt auch enorm schnell zum Punkt. Statt Sommerferien steht lernen an. Frieder muss zu den Nachprüfungen und da er schon einmal zuvor sitzengeblieben ist, ist dies seine letzte Chance auf einen Schulabschluss. Die Eltern der Großfamilie beschließen: Frieder bleibt diesen Sommer bei den Großeltern und lernt dort für die Nachprüfungen. Ebenfalls daheim bleibt Frieders Schwester Alma, die ein Praktikum absolvieren muss. Doch ist das nicht schon schlimm genug für einen Teenager, ist der neue Nachhilfelehrer ausgerechnet der unnahbare Großvater, ein hochrangiger Professor in der Bakteriologie. Der Großvater ist der Stiefvater der Mutter und bewandert auf seinen Gebieten, menschlich gesehen wirkt der Großvater aber eher wie ein Eisblock. Bis vor einiger Zeit mussten sowohl seine Stieftochter wie auch all seine Enkelkinder ihn noch siezen. Als sich Frieder dann auch noch in die extrovertierte Beate verliebt, gerät sein Hormonhaushalt komplett durcheinander. Was für Frieder als Horrorsommer beginnt, entpuppt sich aber immer mehr zu einer einmaligen Zeit in seinem Leben. Ein Sommer, wie es ihn nie wieder geben sollte.

"Nana nickte. Das Zimmer hatte ein Fenster nach Osten. Die Läden waren halb geöffnet und das Licht fiel in Streifen in den Raum und auf Nanas Kleid, und zum ersten mal sah sie nicht wie Großmutter aus, sondern wie eine Frau. Siebenundfünfzig, überlegte ich. Das hörte sich einerseits echt alt an. Ich hatte auf keinen Fall vor, so alt zu werden. Aber siebenundfünfzig war anderseits für Nana nicht alt. Die Omas der anderen waren siebzig oder achtzig oder hundertzehn oder tot."

Der Schreibstil von Ewald Arenz ist Sprache zum anfassen. Wenn er etwas beschreibt, dann bauen sich die Bilder auch in meinem Kopf auf. Es scheint ganz natürlich zu sein, als würde ich einen Film schauen. Alleine wenn er die Sommerszenerie beschreibt bekomme ich das extreme Verlangen danach, mich in Sommerkleidung zu werfen, den Hund fertig zu machen und einen langen Spaziergang durch den Wald zu machen. Was im Umkehrschluss allerdings eine schlechte Idee ist, wir haben noch März, es ist relativ kühl und der Sommer scheint aktuell noch so weit entfernt zu sein wie ich von einem erfolgreichem Studium in Theologie oder Literaturwissenschaften.

Das Trio rund um Friedrich, seinem besten Kumpel Johann und Frieders Schwester Alma wird einem schnell sympathisch. Es ist ein Dreiergespann und dennoch fühlt man sich, als gehöre man zu ihnen und erlebt diesen Sommer gemeinsam mit ihnen. Verspielt und mit viel Wortwitz begleitet der junge Ich-Erzähler den Leser durch die Geschichte. Doch, wie Frieder selbst sagt, so ein einmaliger Sommer ist eben was einzigartiges. Die Geschichte selbst wird nicht von dem Teenager-Frieder erzählt sondern von dem erwachsenen Friedrich, einem Mann im mittleren Alter, der etwas geistesabwesend an einem trostlosen Herbsttag einen Friedhof besucht und anscheinend vergebens nach einem bestimmten Grab sucht. Friedrich erinnert sich zurück an seine Jugend, immer wieder mal schwenkt die Geschichte aber zurück zur Gegenwart und wir als Leser werden aus dieser sommerlichen Idylle zurück in die Realität gezogen. Zurück in die Welt der Erwachsenen. In eine Welt, wo Pflichten auf uns warten und der Tod, je älter wir werden, ein Teil unserer Gedankengänge und Zukunft wird. So verspielt der Autor in den Erinnerungen des Ich-Erzählers auch ist, genau so schnell findet er auch zu einem ernsteren Tonfall zurück. Dieser Stil richtet sich frei nach dem japanischen Sprichwort "Mono no aware" (Der Pathos der Dinge). Genau genommen bedeutet das übersetzt, alles ist vergänglich und wir erinnern uns wehmütig zurück, haben uns mit der Vergänglichkeit der Dinge aber abgefunden. Und so kam es nicht selten vor, dass ich mich beim lesen öfters an den Film "Tränen der Erinnerung" des Studio Ghibli (Regie Isao Takahata) zurückerinnern musste.

"Wenn sie mich nicht sehen wollte, dann wäre ja alles klar. Und das wäre wahrscheinlich viel besser, als immer nur aus der Ferne verliebt zu sein. Das glaubte ich mir nicht mal selbst. In Wirklichkeit war es tausendmal besser, nicht Bescheid zu wissen und immer wieder hoffen und träumen zu können. Scheiß auf die Realität. Ich würde es lassen. Um dann doch kurzentschlossen zu klingeln."



Abschließende Worte

"Der große Sommer" von Ewald Arenz ist ein Roman, der mich tief bewegt hat. Auch wenn ich nicht aus der gleichen Generation stamme wie der Ich-Erzähler Frieder, so sehe ich die behandelten Themen in dem Roman als völlig zeitlos an. Er ist vielleicht aktuell sogar noch wichtiger. Er erinnert uns an bessere Zeiten. An Freiheit, an Unbeschwertheit und den Teenager ins uns, der nie ganz verschwindet sondern als ungezähmtes, wildes Tier in uns weiterlebt. Und da ist er wieder, der große deutsche Coming of Age Roman, der sich ein wenig rar gemacht hat. Von Beginn an wird man hier in eine wundervolle Geschichte gesogen und wird Teil dieser so vertrauten Clique. Ewald Arenz ist ein großer Erzähler, der uns hoffentlich mit weiteren Romanen dieses Kalibers bereichern wird.

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"Und, klar, es roch nach Regen und warm nach Diesel, als ein Bus vorbeifuhr. Das erinnerte mich ans Meer und die Schiffe. Da roch es manchmal genauso. Dieser ölig-warme Geruch, zusammen mit dem von Wasser. Reisen. Woanders sein. >>Abenteuer. Sansibar oder der letzte Grund.<< Das hatte ich bestimmt fünf Mal gelesen und ich hatte immer gedacht, dass ich auch so ein Junge sei: einer, der einen Kutter auch allein über die Förde steuern könnte. Aber für heute reichte es, einfach durch die Nacht zu fahren, und keiner wusste, wo ich war."

"Wir hatten es geschafft! Wir hatten es wirklich geschafft und auf einmal fühlte sich alles großartig an, und Beate schnaufte atemlos neben mir: >>Jetzt sollst du mich küssen.<<
Ich glaube, dass ich nie wieder so geküsst habe. Dass es nie wieder so einen vollkommenen Augenblick des Rauschs gegeben hat, so eine perfekte Berührung. Beates kühle Lippen, ihr glatter, nasser Körper, ihre lachenden grünen Augen. Wir ließen uns im Kuss untergehen und es war in Wirklichkeit ein Schweben durchs Wasser auf den Grund zu; küssend, bis wir absolut keine Luft mehr bekamen und zusammen aufstiegen. Das war der wirkliche Anfang dieses verrückten Sommers."

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