Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 28. März 2018

Im Gespräch: Aufziehvogel trifft den Commendatore




Das Leben ist unvorhersehbar. In diesem Leben hätte ich zum Beispiel nicht mehr erwartet, einmal interviewt zu werden. Normalerweise bin ich derjenige, der die Fragen stellt und meine Blog-Gäste diejenigen, die sie, so weit es ihnen möglich ist, beantworten. Jetzt ist es schon so weit gekommen, dass ich auf meinem eigenen Blog interviewt werde!

Die Frage, die ich mir seit meinem Gespräch mit dem Commendatore stelle ist die gleiche, die sich Haruki Murakamis namenloser Protagonist bereits im Roman stellt: Kann eine Idee eine physische Gestalt annehmen? Eine ausgesprochen kontroverse Frage. Und doch begegnete ich dem Commendatore kürzlich, nein, viel mehr war er es, der mich aufsuchte. Es geschah, kurz nachdem ich Band 1 von Murakamis Roman ausgelesen hatte und es erwischte mich kalt. Der Commendatore saß auf meinem Sofa und klickte sich durch meinen Verlauf auf YouTube und Twitter. Der kleine Mann sah motiviert aus und begrüßte mich. Verdutzt setzte ich mich auf mein Sofa neben ihn und hörte ihm zu. "Meine Herren", begann er (obwohl nur er und ich anwesend waren) und in ruhigem Tonfall berichtete er mir von seinem Anliegen. Ob ich bereit zu einem kleinen Gespräch wäre. Ein Gespräch über das Werk "Die Ermordung des Commendatore" eines gewissen japanischen Autors. Er schien kein besonders großer Kenner jenes Autors namens Haruki Murakami zu sein. Zufällig schien ihm sein neuster Roman in die Hände gefallen zu sein, in diesem er auch noch eine tragende Rolle spielt. Eine Idee fragt nach. Eine Idee interessiert sich für meine abschließenden Gedanken zum ersten Band dieser mysteriösen Geschichte. Was kann schon schief gehen, dachte ich mir und schluckte dennoch laut, denn es passiert in einem Menschenleben vermutlich nur zu selten, dass er sich einmal mit einer Idee unterhalten wird.


Das Interview


Commendatore: Meine Herren, bitte erzählen Sie mir doch einmal, welche Erwartungen Sie im Vorfeld hatten? Ist es nicht eine Unglaublichkeit? In einigen Wochen endet diese Reise auch schon wieder. Bitte erzählen Sie mir aber, ob Sie im Vorfeld andere Erwartungen hatten oder ob ungefähr das eingetroffen ist, was Sie erwartet haben.

Aufziehvogel: Hierauf kann ich glaube ich keine gescheite Antwort liefern. Über den Inhalt war im Vorfeld, wie immer bei Murakami, kaum etwas bekannt. Von Meinungen aus Japan schwappt auch in der heutigen Zeit nur sehr wenig zu uns herüber und man musste sich beispielsweise auf Berichterstattungen der Japan Times verlassen. Allerdings war diese Berichterstattung auch genau so vage und brachte mich dem tatsächlichen Inhalt des Buches kein bisschen näher. Ich hatte ein Bild vor Augen, dass ein einsamer Eremit, der sich vom Großstadtleben verabschiedet hat und nun sein Leben in einer kleinen Hütte auf einem verschneiten Berg fortführt. Ich denke, dieses Bild hatte ich von der Beschreibung des Romans.


Commendatore: Und was steckt wirklich dahinter?

Aufziehvogel: Die Antwort kennen sie doch schon!

Commendatore: Ich möchte aber Ihre Meinung hören, meine Herren! Erzählen Sie doch bitte.

Aufziehvogel: Also gut. "Die Ermordung des Commendatore" ist ein moderner Roman mit einem Protagonist, einem jungen Künstler, in seinen 30ern. Murakami kehrte hier wieder zu einem namenlosen Ich-Erzähler zurück. Die Geschichte in den beiden Romanen wird aus seiner Sicht erzählt, der Erzähler merkt aber noch an, dass diese seltsame Geschichte, in die er hineingeraten ist, schon mehrere Jahre zurückliegt. Jener Portrait-Maler hat sich von seiner Frau getrennt und ein alter Bekannter aus der Uni gewährt ihm eine Unterkunft, etwas abgeschieden in einem Tal, im Haus seines Vaters, einem bekannten Maler des Nihonga-Stils, vorläufig zu leben. Erzählt wird hier die Geschichte zweier Männer, die aus ziemlich unterschiedlichen Verhältnissen kommen und die auch ein gewisser Altersunterschied voneinander trennt. Dennoch, so die Auffassung des Ich-Erzählers, scheint er sich seelisch mit dem reichen Herrn Menshiki verbunden zu fühlen, der den Protagonist für ein Portrait anheuerte. Es entwickelt sich hier eine ungeheuer interessante Beziehung zwischen den beiden Männern. Der tatsächliche Inhalt des Buches unterscheidet sich also sehr von dem, was ich mir im Vorfeld vorgestellt hatte. Wie ich Ihnen aber schon sagte, es ist unglaublich schwierig, sich etwas unter einem neuen Murakami vorzustellen, wenn man das Buch nicht selbst vorher gelesen hat.


Commendatore: Ich denke, ich verstehe allmählich die Faszination hinter diesem Autor meine Herren. Bitte berichten Sie mir etwas mehr von Ihren Eindrücken mit dieser Geschichte.

Aufziehvogel: In meiner Rezension zu Band 1 habe ich die Rückkehr zu Murakamis Surrealismus schon sehr gelobt. Im Nachklang muss ich auch sagen, es ist eine sehr mysteriöse Geschichte. Murakami hält sich hier zwar im Genre des Künstlerromans auf, aber der Aufbau der Geschichte unterscheidet sich erheblich von seinen letzten beiden großen Romanen. Ich habe hier etwas vertrautes wiederentdeckt, was ich seit Jahren vermisst habe. Der magische Realismus ist etwas, was so ziemlich jedem seiner Romane anhaftet, aber bei "Die Ermordung des Commendatore" (tut mir echt leid für Sie) spielt Murakami wieder mit den Welten. Es kommen klassische Stilmittel aus vergangenen Werken hier wieder zum Vorschein.


Commendatore: Der Autor soll wohl berüchtigt für eigenwillige weibliche Charaktere sein. Können sie mir sagen, ob es in dieser Geschichte die oftmals erwähnte "Murakami-Frau" gibt?

Aufziehvogel: Wenn ich an Band 1 zurückdenke muss ich eher sagen, nein. Murakamis weibliche Figuren haben es durch ihre geheimnisvolle, selbstbewusste art auch immer geschafft, die Leser um den Finger zu wickeln. In Murakamis vergangenem Roman ("Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki") scheiterte Murakami erstmals damit, eine weibliche Figur zu erschaffen, die die Leser um den Finger wickelt. Der Figur fehlte es an Persönlichkeit und wirklich sympathisch fand ich sie auch nicht. In seiner vergangenen Kurzgeschichten-Sammlung "Von Männern, die keine Frauen haben" finden wir aber eine Entschädigung dafür. Besonders in der Geschichte "Samsa in Love" finden wir einen sehr schrulligen Charakter (positiv gemeint), der die Kriterien der Murakami-Frau erfüllt. In "Die Ermordung des Commendatore" lernen wir nur ein paar Affären des Erzählers kennen. Eine dieser Affären hat eine größere Rolle in der Geschichte, trägt aber nicht wirklich was zu ihr bei (bisher zumindest). Zu den ganz wenigen Schwachpunkten im Buch gehören diesmal eindeutig die Liebesszenen. Selbst für Murakami-Verhältnisse (er wird gerne mal pikanter bei der Beschreibung) wirken die Beschreibungen befremdlich vulgär und fügen sich nicht besonders gut in die Geschichte ein. Sobald sich eine Liebesszene wieder anbahnte, seufzte ich und hoffte, der Autor würde sich bitte kurz fassen. Im Verlaufe des ersten Bandes werden diese Szenen weniger und ich weine ihnen auch nicht nach. "Die Ermordung des Commendatore" ist keine Liebesgeschichte und so etwas würde auch nicht dazu passen. Murakami fokussiert sich bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich auf die beiden Protagonisten, und genau so wünsche ich mir auch, dass es weitergeht. Dennoch gibt es eine wundervolle Liebesszene, die einer Erwähnung wert ist und anscheinend den Erzähler seit langer Zeit begleitet. Es ist die Erzählung mit dem Love Hotel.


Commendatore: Ein Love Hotel? Was soll das sein, meine Herren? Können Sie dies bitte erläutern?

Aufziehvogel: Nun, ich werde nicht näher drauf eingehen was ein Love Hotel ist (sie sind so wissbegierig, die Antwort werden sie sicherlich selbst herausfinden). Da sie den Roman aber schon komplett gelesen haben (und somit auch mehr wissen als ich selbst) werden sie wissen, worüber ich rede. Die Erzählung rund um die mysteriöse Frau und ihrem umheimlichen Verfolger in dem Subaru Forester war der typische Murakami-Moment. Ähnlich wie "Die Stadt der Katzen" in seinem Dreiteiler 1Q84, so ist die Geschichte mit dem Love Hotel eine Kurzgeschichte eingewoben in dem Roman. Man könnte diese Seiten ausschneiden und als eigenständige Geschichte herausbringen. Bei Murakami ist es nicht einmal auszuschließen, dass ihm so die Idee zu "Die Ermordung des Commendatore" kam, da bereits einige seiner Kurzgeschichten der Anstoß zu einem Roman waren. Ich kann Lesern, die das Buch noch nicht kennen, raten, auf diese Erzählung besonders acht zu geben.


Commendatore: Zum Abschluss würde ich Sie gerne fragen, wie es um Ihre Erwartungshaltung dem zweiten und somit letztem Band gegenüber bestellt ist. Sie haben doch Erwartungen, oder?

Aufziehvogel: Ich wünsche mir einen runden Abschluss für diese Geschichte. Es ist genug Potential vorhanden, dass "Die Ermordung des Commendatore" Murakamis bestes Werk (aus meiner Sicht) seit "Kafka am Strand" werden könnte. Haruki Murakami tut sich beim Ende immer etwas schwer. Hier erkennt man, dass Murakami durch und durch ein japanischer Autor ist. Die Enden in der japanischen Literatur sind oftmals von kryptischer Natur und liefern meistens ein völlig offenes Ende ab. Ein offenes Ende kümmert mich nicht, sofern dieses vorher gut ausgearbeitet wurde und auch gerechtfertigt ist. Ich kann also nicht behaupten, meine Erwartungen seien gering. Diese Geschichte verdient ein anständiges Ende, ein anständiges Ende aber bitte mit dem typischen Murakami-Twist. Ich wünsche mir daher, dass sämtliche Handlungsstränge abgearbeitet werden. Ich möchte auch nachträglich über das Ende noch nachdenken, philosophieren und interpretieren können. So muss für mich ein Roman von Haruki Murakami enden.


Commendatore: Zum Schluss noch eine Frage, meine Herren, welche Zielgruppe wird denn hier angesprochen und was können die Leser erwarten?

Aufziehvogel: "Die Ermordung des Commendatore" ist wieder einmal etwas komplett anderes geworden. Murakami bewegt sich auf dem Territorium des Künstlerromans, aber das bedeutet nicht, dass der Roman trocken oder arm an Ereignissen ist. Es ist ein flotter Roman, allerdings sollte man hier keine erdrückende Spannung erwarten oder aber dramatische Wendungen. Der Roman ist vom Tempo her optimal und funktioniert genau so, wie er es soll. Doch besonders im Vergleich zu anderen Werken Murakamis muss man sich hier etwas umorientieren. Sich an dieses spezielle Tempo gewöhnen. Man wird sich hier und da etwas umstellen müssen, aber dennoch kann ich den Roman uneingeschränkt für die Leser dieses Blogs empfehlen.


Commendatore: Ich kanns kaum fassen, Sie haben all meine Fragen abgearbeitet. Eine Idee bedankt sich für Ihre Zeit und wünscht Ihnen noch eine angenehme Zeit. Ich bin mir sicher, wir werden uns noch ein weiteres mal sehen, sobald sie Band 2 ausgelesen haben.



Nach diesen Worten des Abschieds rührte sich der Commendatore neben mir nicht mehr und begann langsam, sich in Luft aufzulösen. Ich bin gespannt, ob er mir tatsächlich noch einmal einen Besuch abstatten wird.

2 Kommentare:

  1. Das hat riesigen Spaß gemacht, habe ich sehr gerne gelesen. Grüße an den Commendatore und schönen Abend :)

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  2. Freut mich, dass das Gespräch gut ankam und das Feedback wird selbstverständlich weitergeleitet ;D

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