(Foto: ©Katharina Behling)
Deutschland/Österreich 2017
Ich war Hitlers Trauzeuge
Autor: Peter Keglevic
Verlag: Knaus
Genre: Satire, Tragikomödie
Am 01. April 1945 hält ein SS-Hauptsturmführer dem jüdisch-stämmigen Harry Freudenthal eine geladene Waffe an den Kopf, will abdrücken und seinen anschließend leblosen Körper zu Harrys Flucht-Kumpanen deponieren, die, wie er selbst, allesamt der SS ins Netz gegangen sind. Harry hat aber schon seit Kindheitstagen mehr glück als andere. Obwohl die Waffe geladen und bereit ist, Harry das Lebenslicht auszuknipsen und er sich innerlich bereits damit abgefunden hat -"Seltsam, dachte ich, so endet nun dein Leben auf der elften Etappe einer Pilgerreise"-, da marschiert auf einmal die Filmemacherin des Dritten Reiches auf dem Hof ein und der Verlauf des Lebens von Harry Freudenthal nimmt auf einmal eine glückliche, wie irrwitzige Wendung. Vor Harry liegt nicht nur der Lauf seines Lebens sondern eine nahezu absurde Odyssee, die ihn direkt in den Führerbunker führt. Wieso Harry Freudenthal der Trauzeuge des gescheiterten Führers wurde, dies behielt er mehr als 70 Jahre als Geheimnis für sich. Und wenn man bereits über 90 Jahre alt ist, wem könnte man diese Geschichte denn einmal anvertrauen? Genau! Seinem Friseur!
Der österreichische Filmemacher und Autor Peter Keglevic hat seinem Roman einen markanten Titel verpasst. Wenn man sich für "Ich war Hitlers Trauzeuge" entscheidet, dann muss man den Worten auch Taten folgen lassen. Der Autor entführt uns hier auf seine ganz eigene Weise in ein reales Deutschland zum Kriegsende, was fiktiver eigentlich gar nicht sein könnte. Peter Keglevic macht das Berchtesgaden aus dem Jahr 1945 zu seinem Spielplatz, wo nach seinen Regeln gespielt wird. Anders als beispielsweise "Er ist wieder da" von Timur Vermes kommt der Roman von Keglevic trotz seiner beeindruckenden Seitenzahl sehr schnell zum Punkt. Es gibt eine kurze Aufwärmrunde mit Harry, der aus seiner Kindheit erzählt. Der Autor nimmt sich dabei Zeit, hält sich aber nie wirklich lange an Kleinigkeiten auf. Die Gedankengänge des Jungen Harry, der versucht, sich seine Eltern beim Sex vorzustellen und dabei an seine Schwester denken muss, mögen einen befremdlichen Eindruck hinterlassen, der freche, aber oftmals auch herrlich vulgäre Stil von Keglevic gefiel mir nach einer etwas längeren Anlaufzeit sehr gut. Und so haut der Autor auch mal folgendes Zitat raus und wird den Leser, der hier vielleicht sogar ein bierernstes Werk erwartet, regelrecht aus dem Hinterhalt erwischen:
">>Nehmen sie doch endlich den Arm runter!>>, sagte Leni Riefenstahl genervt. Da erst merkte ich, dass ich meinen rechten Arm ausgestreckt hatte und dass sie mich meinte. Schnell legte ich die Arme an und stand steif und ehrfurchtsvoll. Sie trat unter meinen Geradeaus-Blick, und ich sah, sie trug einen offenen Pelzmantel und darunter einen weißen Kittel, so wie ihn Ärzte tragen. Sie musterte mich von oben bis unten, was den Reiz ihres Silberblicks nur noch vergrößerte. <<Reichsgletscherspalte>> fiel mir ein -ihr Spitzname-, weil sie in ihren Filmen in so viele Eis-, Schnee- und Gletscherspalten gefallen war. Später hatte mich ausgerechnet meine Schwester Hilly aufgeklärt, dass mit <<Spalte>> ganz was anderes gemeint war. Ich hatte sie dumm angeguckt. <<Muschi. Möse. Spalte. Die Riefenstahl fickt mit allen, die ihr einen Vorteil bringen. Eine berechnende Fotze ist die!>> Ich war fassungslos gewesen."
Schonungslose Situationskomik wechselt sich ab mit Tragikomik und fügt sogar einen Schuss Sentimentalität (jedoch nicht aufdringlich) hinzu. Das einzige, was man dem Roman von Peter Keglevic neben einigen etwas langatmigen Passagen vorwerfen kann, ist, manchmal kann er sich nicht entscheiden ob seine Geschichte eine Satire auf das Dritte Reich, eine fiktionale Biografie oder einfach eine klassische Tragikomödie ist. Aber vielleicht liegt hier ja sogar die Stärke dieser Geschichte, denn die verschiedenen Stile wechseln sich gerne und häufig ab. Peter Keglevic hat mir Harry Freudenthal sogar so gut verkauft, dass ich den Name auf Google nachschlagen musste.
Resümee
Der Lauf seines Lebens wird zu seiner Lebensgeschichte. Harry Freudenthal dokumentiert seine ganz persönliche, kuriose Odyssee durch ein Drittes Reich, welches in seinen letzten Zügen liegt. "Ich war Hitlers Trauzeuge" mag auf den ersten Blick eher mit Humor betrachtet werden. Tatsächlich aber hat Autor Peter Keglevic den ernsten Kern seines Romans hinter viel Situationskomik und Satire versteckt. Der große Volkslauf von Berchdesgaden kommt einem Theaterstück gleich, einer letzten Aufführung des Dritten Reiches mit prominenten Gästen wie Leni Riefenstahl, Eva Braun und Adolf Hitler persönlich. Keglevic findet zum Ernst der Lage bei all den Absurditäten immer sehr schnell zurück. Vermutlich macht genau das diese Geschichte authentischer als so manch todernsten Rückblick auf ein Deutschland am Abgrund. Am Ende schlägt die Macht der Literatur das Original. Eine Geschichtsstunde der besonderen art.
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