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Samstag, 30. September 2017

Rezension: Die Insel der Freundschaft (Durian Sukegawa)


(©DuMont Buchverlag)




Japan 2014

Die Insel der Freundschaft
Originaltitel: Pinza no Shima
Autor: Durian Sukegawa
Verlag: DuMont
Übersetzung aus dem Japanischen: Luise Steggewentz
Genre: Drama, Slice of Life




Mit 28 Jahren scheint Ryosuke bereits am Ende seines Lebensweges zu stehen. Sein Studium hat er abgebrochen und ist wie sein Vater seiner Leidenschaft, dem Kochen, nachgegangen. Und als wolle er seinem Vater imponieren und es ihm gleichtun, so rammt er sich ein scharfes Kochmesser selbst in die Brust, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Anders als bei seinem Vater aber versprüht sein Sohn den euphorischen Drang weiterzuleben. Ein Drang, der sein Leben in letzter Minute gerettet hat. Es gibt da auch noch etwas, was der junge Mann zu tun hat. Auf einer einsamen Insel einer gewissen Person etwas überreichen, wieder einen Lebenssinn zu finden und vielleicht noch einmal von vorn anfangen. Zusammen mit zwei weiteren Aussteigern aus dem Stadtleben beginnt für Ryosuke eine neue Zeitrechnung. Aus einer Arbeitsgemeinschaft die wahllos zusammengestellt wurde bahnt sich eine Freundschaft an. Zu dritt suchen sie gemeinsam einen Platz in der Gesellschaft, die sie anscheinend so viele Jahre verstoßen hat.

Nur 1 Jahr nach "Kirschblüten und rote Bohnen" veröffentlichte Durian Sukegawa in seiner Heimat "Die Insel der Freundschaft" (jap. Pinza no Shima). Der Japaner hat diesmal aber eine umfangreichere Geschichte zu erzählen. Das Buch ist wesentlich dicker und er lädt seine Leser diesmal dazu ein, die große Stadt zu verlassen und ihm auf eine einsame Insel zu folgen. Besser gesagt, dorthin schickt Durian Sukegawa seine 3 melancholischen Protagonisten. Ryosuke, ein schweigsamer Zeitgenosse der als Koch arbeitete und auf der Insel noch etwas persönliches zu erledigen hat. Tachikawa, der ein wenig ungestüm wirkt und ein ehemaliger Host ist. Zu guter letzt wäre da noch Kaoru, ein Mädchen, die sich zumindest optisch gibt wie eine Punk-Rockerin. Gemeinsam soll das ungleiche Trio auf der abgelegenen wie einsamen Insel Aburi-jima Bauarbeiten übernehmen. Neben dem neuen Job bringt jeder der drei sein eigenes, schweres Paket mit auf die Insel. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den dreien eine Freundschaft und mit dem Auftauchen des alten Inselbewohners Hashi gelingt es Ryosuke, aus seiner Melancholie zu entfliehen. Doch ist es wirklich so leicht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen?

Durian Sukegawa verfeinert in diesem Roman seinen Stil. Bereits der Abschnitt, der die Geschichte eröffnet, ist starke Prosa, die mich direkt in ihren Bann zog:


"Als es aufhörte zu regnen und die Wolkendecke aufbrach, wurde der Abend in ein klares Licht getaucht. Die Möwen flogen über der Mole hin und her und die Männer gingen im Schrein der Abendsonne auf dem Containerplatz ihrer Arbeit nach. Das Fährschiff, das von R. zu den Aburi-Inseln unterwegs war, hatte soeben vom Kai abgelegt und verließ langsam die Bucht. Von seinem Platz im Speiseraum des Schiffes aus sah Ryosuke das Hafenbecken vorüberziehen und konnte auch einen Teil des Decks und den Gang an der Reling betrachten. Dort hatte sich eine Wasserpfütze gebildet, die so intensiv schimmerte, als wäre ein Stück der Sonne hineingefallen. Lichtreflexe wanderten über die Kommandobrücke, ein flimmerndes Muster aus vielen sich überlappenden Kreisen, das sich im Takt der schwankenden Fähre beständig auflöste und wieder zusammenfügte. Ryosuke verfolgte diesen Rhythmus aus den Augenwinkeln. Während er die unsteten Lichtkreise besah, drifteten seine Gedanken ab."


"Die Insel der Freundschaft" ist durch und durch japanische Literatur in Reinform. Es entwickelte sich beim lesen durchaus ein Gefühl bei mir, wie ich es in den Frühwerken von Haruki Murakami oft wahrgenommen habe. Die Sehnsucht nach einer neuen Herausforderung, das Fernweh gegenüber unbekannten Orten, sein Glück finden. All diese Elemente verknüpft Durian Sukegawa wundervoll. Doch nur weil der Kern der Geschichte sehr japanisch ist, so wird sich der Roman aber auch vor westlichen Lesern ganz sicher nicht verschließen. Die Charaktere wachsen einem ans Herz. Wir lassen die großen Städte hinter uns und treten ein in die ungefilterte Natur. Ein Trip zu Aburi-jima, eine Insel ohne Krankenhäuser, Polizei oder Geschäften, die uns das Leben erleichtern.

Eine besondere Erwähnung ist einmal mehr die Übersetzung wert. Der DuMont Verlag setzt hier auf einen Namen, von dem ich vorher noch nichts gehört habe. Direkt aus dem Japanischen übersetzt Luise Steggenwentz und beerbt hier die routinierte Ursula Gräfe, die uns über viele Jahre beim Verlag mit hochwertigen Übersetzungen beliefert hat. Die dagegen noch recht junge Luise Steggenwentz (Geburtsjahr 1988) setzt die Linie der hochwertigen Übersetzungen aber mehr als souverän fort. Der ruhige, abgeklärte Stil von Durian Sukegawa kommt auch hier bestens zur Geltung und überrascht mit einer flüssigen Sprache. Auch der Humor, der durchaus in diesem Buch vorhanden ist, kommt wunderbar zur Geltung.



Resümee

"Die Insel der Freundschaft" von Durian Sukegawa ist eine beeindruckende Geschichte darüber, wie man sein altes Leben hinter sich lassen kann. Ein Neuanfang auf einer einsamen Insel, die Großstadt hinter sich lassen und Freundschaften zu knüpfen zwischen Menschen, die auf normale weise vermutlich niemals zueinander gefunden hätten. Durian Sukegawa verknüpft schwierige Schicksale mit Optimismus, ohne jedoch in Rührseligkeit oder penetrante Euphorie zu verfallen. Ein Roman, der in mir des öfteren eine angenehme Wärme entfacht hat. Literatur, wie man sie heutzutage nur noch selten zu lesen bekommt. Eine große Empfehlung von mir.

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