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Freitag, 9. Juni 2017

Rezension: Denunziation (Bandi)




Da der Autor sein Werk anonym veröffentlicht hat, existiert kein Bildmaterial




Nordkorea circa 1990-1995

Denunziation
Originaltitel: Go-Bal
Autor: Bandi
Vorwort: Thomas Reichart
Nachwort: Do Hee-Yoon
Erschienen/Verlag: 05.02.2017 bei Piper
Übersetzung aus dem Koreanischen: Ki-Hyang Lee
Genre: Kurzgeschichten
Wissenswertes: Weiterleitung zu Piper



"Was war das für ein haariges Monster, das um sich brüllte, je einen Fuß auf den beiden höchsten Wohngebäuden der Stadt? Ja, natürlich, das war Eobi! In Todesangst sprang Kyeong-Hui auf die Füße und rannte so schnell sie konnte davon, ohne Plan und ohne Ziel. Zu ihrer großen Überraschung waren all jene, die zitternd vor Angst die Nasen an die Fensterscheiben ihrer bienenwabenähnlichen Wohneinheiten pressten, keine Menschen, sondern Feldhasen! Haha, was für ein Witz! Das waren doch nur Nagetiere aus einer Geschichte, die ihr Mann mit schöner Regelmäßigkeit erzählte. Das Seltsamste war, dass auch Kyeong-Hui plötzlich in einer dieser Waben kauerte, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Sie schaute sich um und entdeckte einen besonders stillen Hasen, der auf einem Bett in der Ecke des Zimmers schlief. Völlig bewegungslos lag er da und schnarchte mitleiderregend mit halb offenem Mund. Der Arme, auf der Flucht vor dem Schrei des Eobi war er sehr abgemagert. Sie sah näher hin. Warum standen denn die Schneidezähne so vor, aus dem Mund ihres Mannes? Auch das noch! Das war gar kein Hase, sondern ihr Mann!
>>Ma...mi...<<
>>Oooh... schlaf, schlaf weiter, mein Kleiner>>, murmelte sie mechanisch. Im Halbschlaf streichelte sie ihren Sohn, aber ihre Bewegung wurde immer langsamer. Trotz des tobenden Sturms senkte sich der Schlaf über die erschöpfte Stadt."
(Denunziation: Bandi. Verlag: Piper. Übersetzung: Ki Hyang Lee)



Wenn man einen Blog betreibt, der seinen Schwerpunkt auf Literatur aus Asien legt und diese besonders den Lesern nahelegen will, die vielleicht mal ganz versehentlich hier vorbei spazieren, dann wartet man immer auf ein Highlight, was es nicht alltäglich gibt und man den Lesern unbedingt präsentieren möchte. Aber besonders in der Literatur war alles schon einmal irgendwie da. Literatur aus den unmöglichsten Ländern, Nationen und Gesellschaften. Alles schon einmal da gewesen. So ist es ausgerechnet ein Beitrag aus Nordkorea, mit dem wohl niemand so wirklich rechnen darf. Klar, es gibt genug Bücher über Nordkorea, genügend Autoren mit Herkunft aus Nordkorea, die ihr Werk nach ihrer Flucht in Südkorea verfasst haben (meistens nicht einmal Belletristik sondern häufig handelt es sich hier um Autobiografien und Reportagen). Belletristik, auch noch verfasst im Land des Flüstern, so etwas ist tatsächlich eine literarische Seltenheit. Eine solche Seltenheit, dass der Autor, der die sieben Kurzgeschichten in diesem Band verfasst hat, anonym bleiben will und unter einem Pseudonym schreibt. Die Identität von Bandi (deutsch: Glühwürmchen) ist selbst Nordkorea-Experten ein Rätsel. Wie diese Kurzgeschichten in die Hände einer südkoreanischen Hilfsorganisation gelangten, liest sich mindestens so abenteuerlich wie ein Spionageroman. Doch hier handelt es sich um die Realität, zumindest ist sich da die Mehrheit sicher. Obwohl sich selbst Experten um die Authentizität dieses Buches einig sind, so wird es immer ein gewisses Maß an Restzweifel geben. Es wird nie eine hunderprozentige Sicherheit geben, ob es jemals einen Autor aus Nordkorea gibt/gab, der diese Kurzgeschichten zwischen dem Ende der 80er bis in die Mitte der 90er verfasst hat. Aber vermutlich ist es genau sogar dieser Aspekt, der "Denunziation" so viel Aufmerksamkeit zukommen lässt und zu einem Gesprächsthema gemacht hat.

Denunziation ist bereits 2014 in Südkorea erschienen. Bandis Biografie wie aber auch die Texte wurden nachträglich bearbeitet, um sämtliche Verbindungen zu der Person hinter dem Pseudonym zu tilgen. Die inhaltlichen Änderungen der Geschichte belaufen sich auf Änderungen von Namen und Städten. Mit Ausnahme dieser kleinen Änderungen, um die Identität des Autors zu schützen, versprach die Organisation, dass es darüber hinaus keine weiteren Anpassungen gab. Liest man sich durch die insgesamt sieben Kurzgeschichten, so dürfte auch der Leser nur noch wenige Zweifel an die Authentizität des Autors hegen. Von Beginn an muss angemerkt werden, jede einzelne Geschichte ist dem Regime gegenüber kritisch eingestellt. Diese Kritik gegenüber der seltsamen Diktatur aus Nordkorea wirkt aber nie aufgesetzt oder erzwungen provokant. Mit feiner Prosa erzählt Bandi hier Geschichten, die Menschen, haben sie sich noch nie mit dem Thema Nordkorea befasst, für fantasievolle Märchen halten könnten. Mit einer Portion Humor, Sarkasmus aber auch der nötigen Ernsthaftigkeit zeichnet Bandi ein Bild, was zum Ende der Herrschaft von Kim Il-Sung (verstorben 1994) entstanden ist. Wie beklemmend und paranoid das Leben in der Hauptstadt Pjöngjang sein kann, dies beweist besonders die Geschichte zum Auftakt, "Die Stadt der Gespenster". Im Fokus steht eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn, der anscheinend einige Neurosen seines ängstlichen Vaters übernommen hat. In der Wohnung muss die selbstbewusste Kyeong-Hui die Fenster abdecken, damit der Junge nicht die riesigen Porträts von Marx und dem geliebten Führer Kim Il-Sung an den Hochhäusern sieht. Beim Anblick dieser Porträts verfällt der Junge in Panik und beginnt fürchterlich zu weinen. Dieses Verhalten wird für Kyeong-Hui und ihrer Familie aber noch einige weitere, verheerende Probleme mit sich bringen. Das ende dieser Kurzgeschichte ist im wahrsten Sinne des Wortes bittersüß und verhängnisvoll.

Bandis Geschichten sind immer wieder gespickt mit fantasievollen Passagen und Metaphern. In der zuletzt erwähnten Geschichte war es "Eobi", ein böses Monster, das unartige Kinder heimsucht. Die Geschichten sind alle leicht zugänglich und könnten besonders auch die Leute überraschen/interessieren, die sich mit den Sitten dieses abgeschotteten Landes bisher noch nicht beschäftigt haben. Für die leichte Verständlichkeit geht das Lob aber auch an die Übersetzerin Ki-Hyang Lee. Die erfahrene Übersetzerin und Verlegerin (Herkunft: Südkorea, Seoul) war hier für die Übersetzung der Ausgabe verantwortlich, die 2014 in Südkorea veröffentlicht wurde. Da das Buch auch in den USA erschienen ist, hätte man auch auf eine englischsprachige Ausgabe zurückgreifen können, doch der Piper-Verlag hat sich, glücklicherweise, dagegen entschieden.




Resümee

"Denunziation" von Bandi ist für mich die Überraschung der ersten Jahreshälfte. Jede Geschichte weiß zu überzeugen, am Ende war ich sogar wehmütig, dass diese Reise durch ein uns so fremdes Land vorbei war. Bedenkt man aber, unter welchen Umständen diese Geschichten entstanden sein müssen und wie alt sie mittlerweile schon sind, so können wir ausländischen Leser jedoch froh sein, überhaupt in den Genuss dieser Kurzgeschichten kommen zu dürfen. "Denunziation" regt zum nachdenken an, jede darin enthaltene Geschichte besitzt aber auch das Potential, seine Leser zu unterhalten. Trotz all der Gesellschaftskritik handelt es sich hier unverkennbar nicht um eine Autobiografie. Und genau dieser Aspekt macht Bandis Kurzgeschichten zu so einer Besonderheit. Besonders aufgrund der Aktualität ein unglaublich wichtiges Buch.

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