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Freitag, 20. Oktober 2023

Rezension: Honigkuchen (Haruki Murakami & Kat Menschik)

 





Japan/Deutschland 2023


Honigkuchen
Originaltitel: Hachimitsu Pai
Auch zu finden in: Nach dem Beben (DuMont Buchverlag, 2004)
Autor: Haruki Murakami
Illustratorin: Kat Menschik
Übersetzung: Ursula Gräfe
Veröffentlichung: 10.10.2023 bei DuMont
Genre: Kurzgeschichte, Magischer Realismus, Artbook
Format: Hardcover, E-Book


>>Wie immer. Ich schreibe eine Geschichte, sie wird in einer Literaturzeitschrift gedruckt, und niemand liest sie.<<
>>Ich habe alles von dir gelesen.<<
>>Danke. Du bist ja auch nett<<, sagte Jun. >>Aber die Kurzgeschichte gerät immer mehr aus der Mode, wie der bedauernswerte Rechenschieber.<<


Morgen ist Klassentreffen. Ich sehe einige Menschen wieder, die ich nun über 20 Jahre nicht gesehen habe. Ich überlegte lange, ob ich hingehen oder den Termin verstreichen lassen soll. Aber vielleicht..... vielleicht würde es wieder 20 Jahre dauern, bis so ein Treffen zustande kommt. Also habe ich zugesagt. Und wie es der Zufall so möchte, fällt mir eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami in die Hände. Haruki Murakami, mindestens die Stimme der etwas verlorenen Generation, nun etwas über 30 Jahre alt, noch immer den verspielten Träumen hinterherjagend, in Erinnerungen an die Jugend schwelgend und dabei gute Musik hören und, wenn es die bescheidenen Kochkünste dann zulassen, selbstgemachte Spaghetti essen. Der japanische Autor hat mich durch die schwierigsten Zeiten in meinem Leben begleitet und bis zum heutigen Tage habe ich mir noch einige wenige Romane zurückgelegt, die ich noch nicht gelesen und für irgendwelche "Turbulenten Tage" zurückgelegt habe. Wenn ich nach der aktuellen Weltlage gehe, müsste ich praktisch täglich etwas von Murakami lesen. Dass ich nach langer Zeit mal wieder so redselig bin, hat natürlich etwas damit zu tun, dass ich "Honigkuchen" nach so vielen Jahren wieder für mich entdeckt habe. Ich habe aus der Leidenschaft und Liebe zu den Werken Murakamis und der Literatur aus Japan vor über 10 Jahren diesen Blog ins Leben gerufen. Doch besonders in den vergangenen Jahren wurde es um Murakami still hier. Ist die Faszination verflogen? Begleiten mich seine verträumten Protagonisten etwas nicht mehr auf meinem alltäglichen Weg? Komplett falsch. Murakami ist in meinem Unterbewusstsein noch so präsent wie immer. Sein Werk für mich wiederzuentdecken, habe ich nun bemerkt, ist spannender denn je. Besonders, wenn man eine Geschichte noch einmal bebildert praktisch komplett neu erleben darf.

Am dieser Stelle wollte ich eigentlich schreiben: "Über 10 Jahre nach der Veröffentlichung von "Die unheimliche Bibliothek" finden Haruki Murakami und die deutsche Künstlerin Kat Menschik ein weiteres mal zueinander." 
Aber zum Glück recherchiere ich dann doch noch, bevor ich hier meine Groschen hinzusteuere. Denn im Jahr 2021 ist bei dieser Kollaboration noch eine weitere Kurzgeschichte Murakamis in dieser Reihe entstanden: Birthday Girl. Diese Kurzgeschichte ist zu finden in dem Kurzgeschichtenband "Blinde Weide, schlafende Frau" (DuMont 2006). Damit kommt die Reihe rund um Kurzgeschichten von Haruki Murakami und Illustrationen von Kat Menschik nun auf 5 Bände (Schlaf, Die Bäckereiüberfälle, Die unheimliche Bibliothek, Birthday Girl sowie Honigkuchen). Ich habe diese schöne Reihe wirklich nahezu komplett verschlafen, zuvor befand sich nur "Die unheimliche Bibliothek" in meinem Besitz. Meine eigene Bibliothek wartet auf die Komplettierung, was schwer werden dürfte, denn "Schlaf" wurde aus dieser Reihe anscheinend nicht noch einmal als Hardcover gedruckt.

Mit Ausnahme von "Die unheimliche Bibliothek" handelt es sich bei den Kurzgeschichten, die hier veröffentlicht werden und mit Illustrationen von Kat Menschik untermalt werden, zwar um Geschichten, die bereits in deutscher Übersetzung vorliegen, hier aber neues Leben eingehaucht bekommen. "Honigkuchen" findet man in Murakamis Kurzgeschichtenband "Nach dem Beben". Dieser Kurzgeschichtenband ist insofern besonders, da Murakami sich hier der Erdbebenkatastrophe widmet, die 1995 Kobe heimsuchte. Subtil und mit seinem unverkennbar surrealen Stil versehen, arbeitete Murakami in dem Band die schrecklichen Geschehnisse dieser Naturkatastrophe auf. Wenn man Murakami liest, erinnert man sich nicht nur an seine Kurzgeschichten und Romane, sondern auch an all jenes, was drumherum stattfand. So erinnere ich mich noch, fast schon unheimlich lebhaft, daran, wann ich "Nach dem Beben" in der Buchhandlung gekauft habe, wo ich danach essen war, was ich gegessen habe und wie ich am späten Abend angefangen habe, den Band zu lesen. Zugegeben, als ich das kleine Hardcover gestern aufgeschlagen habe, erinnerte ich mich nur noch an winzige Umrisse der Kurgeschichte. Doch bereits nach zwei Seiten war es so, als hätte mein Erinnerungsvermögen den komplett abgedruckten Text wieder hervorgeholt.

"Honigkuchen" ist zweifelsohne eine der schönsten Kurzgeschichten aus "Nach dem Beben" (und vermutlich auch eine der einfühlsamsten Kurzgeschichten von Murakami überhaupt) und der DuMont Verlag hat eine ausgezeichnete Wahl getroffen, diese Geschichte für diese illustrierte Einzelveröffentlichung auszuwählen. Da es sich um eine verhältnismäßig kurze Geschichte handelt, möchte ich nicht großartig auf den Inhalt eingehen, um nichts vorwegzunehmen. Zudem möchte ich auch nur eine einzige Illustration aus dem Buch an diese Rezension anhängen, da sie bei dieser Veröffentlichung ganz klar das Highlight sind und von den Lesern selbst entdeckt werden sollen. Der surreale Stil von Kat Menschik vereint sich hier regelrecht "magisch" mit dem magischen Realismus von Murakami. Jede Illustration ist ein kleines Kunstwerk, welches man lange bewundern kann. Mal abstrakt, mal irdisch, mal verträumt. Die Illustrationen sind ein Begleiter für diese unglaublich geerdete Kurzgeschichte von Murakami.

Mit all seinen Stärken erzählt Murakami in "Honigkuchen" eine Geschichte, die nach einer schlimmen Tragödie spielt. Seine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler lässt Murakami in seinen Protagonist Junpei mit einfließen. Die Kurzgeschichte funktioniert als melancholische Coming of Age Geschichte dreier Freunde und zugleich auch als eine sehr zarte Liebesgeschichte, die über Jahrzehnte andauert und man erst auf der letzten Seite erfährt, ob diese Liebesgeschichte eine Zukunft hat, oder endgültig vom Winde verweht wird. Die Geschichte in der Geschichte um zwei sehr ungleiche Bären geht dabei aber auch zu keiner Sekunde unter.







Abschließende Gedanken

Oktoberzeit ist meistens Murakami-Zeit. Dies könnte allen voran auch mit einer gewissen Preisvergabe zusammenhängen, die im Oktober verliehen wird. Aber eingebürgert hat sich doch auch, Murakami ist ein ausgezeichneter Herbst-Autor. Die Tage werden kürzer, draußen wird es ungemütlicher und die Stimmung der Menschen trüber. Haruki Murakami ist der Autor für die goldene Jahreszeit. Mit "Honigkuchen" erscheint in der illustrierten Reihe zwischen Haruki Murakami und der Künstlerin Kat Menschik eine wunderschöne Kurzgeschichte für alle Träumer, trüb gelaunte und all diejenigen, die gerne die kurze Geschichte lieben. Obwohl die Erinnerungen an die Kurzgeschichte beim lesen schnell zurückkehrten, so nahm ich sie durch die herrlichen Illustrationen so intensiv wahr, wie nie zuvor. Man könnte diese illustrierte Reihe natürlich noch über viele Jahre fortführen, denn bekanntermaßen hat Haruki Murakami ein sagenhaft umfangreiches Portfolio an Kurzgeschichten. Sollte dies der Fall sein, so hoffe ich, dass der Verlag bei der Auswahl der Geschichten auch weiterhin so ein gutes Händchen hat.

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