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Sonntag, 28. Februar 2021

Rezension: Lovecraft Country (Matt Ruff)

 





USA 2016


Lovecraft Country
Autor: Matt Ruff
Verlag (DE): Hanser
Verlag (EN): HarperCollins
Genre: Dark Fantasy, Rassendrama


Gelesen wurde die englische E-Book Ausgabe von HarperCollins



Bei dem Titel "Lovecraft Country" hat sich der Autor Matt Ruff etwas bei gedacht. Zum einen existiert dieser Begriff wirklich und umfasst reale und fiktive Locations, in denen sich die Geschichten des Weird Fiction Schriftstellers H. P. Lovecraft abspielen. Doch ist der gewählte Titel auch im Bezug noch wesentlich tiefgründiger. So steht der Name Lovecraft nicht nur für fiktiven Horror und surrealer Dark Fantasy, sondern auch für realen Horror. Nämlich Rassismus. 
H. P. Lovecraft war ohne Zweifel ein Mann seiner Zeit (1890-1937). Aufgewachsen in einer konservativen ländlichen Gegend in Providence, teilte auch Lovecraft die Ansichten des damals durchschnittlichen weißen Bürgers. So ist Lovecrafts unterschwelliger Rassismus in seinen Geschichten kaum zu leugnen, hat es seine Fiktion über die Jahrzehnte aber auch geschafft, bei afroamerikanischen Lesern Anklang zu finden. Es ist vermutlich Lovecrafts spätem Weltruhm zu verdanken, dass seine Literatur die Grenzen der Gesellschaft überschritt und man die Geschichten auch losgelöst von politischen Debatten genießen kann. Im Falle von dem Roman von Matt Ruff bedeutet der Titel Lovecraft Country für die Protagonisten also nicht nur eine Reise in diese überwiegend von Weißen dominierten Domänen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Lovecrafts fiktivem Horror. Es wird in jedem Falle "Weird" in Lovecraft Country. Das Problem? Dem Roman von Matt Ruff fehlt entweder ein richtiges Konzept, eine geordnete Struktur oder aber ein richtiger Plot.

Im Interview am Ende des Buches spricht der Autor ein wenig darüber, was ihm die Inspiration zu dieser Idee lieferte. Die Idee selbst begann als Pitch für eine TV-Serie, die später dann zu einem vollständigen Roman wurde, aber teilweise enorm abgeändert werden musste um als klassischer Roman durchzugehen. Die wohl interessanteste Anmerkung ist, die Ursprünge dieser Idee reichen circa 30 Jahre im Leben des Autors zurück. Hier muss allen voran erst einmal angemerkt werden, Matt Ruff ist ein weißer Schriftsteller der einen Roman über die afroamerikanische Kultur in den USA zu Zeiten der Jim Crow Gesetze verfasst hat. Matt Ruff selbst ist 1965 geboren, genau das Jahr, in dem diese scheußlichen Gesetze endlich komplett abgeschafft wurden. Hier liegt eigentlich mein erstes großes Problem mit Lovecraft Country. Die Glaubhaftigkeit. Ich dachte während des Lesens, irgendwann würde ich diese Hürde überwinden, dass hinter diesen vielen Schicksalen im Buch in Wahrheit ein noch relativ junger Autor kaukasischer Abstammung steckt. Bis zum Ende aber konnte ich diesen Gedanken nicht abschütteln. Doch das ist dann eher ein persönliches Problem, so denke ich es mir zumindest. Der Roman ist ohne jede Frage fantastisch recherchiert und die Charaktere nicht nur glaubhaft geschrieben, sie sind auch keine Stereotypen. Vielleicht ist es diese fast schon Perfektion der Recherche (Weißer Autor schreibt authentischen Roman mit farbigen Hauptcharakteren), die mich halt etwas zweifeln lässt. Besonders in diesem Genre haben Autoren afroamerikanischer Herkunft bisher kaum Fuß gefasst. Genau genommen fällt mir mit Octavia E. Butler (1947-2006) sogar nur ein prominenter Name ein.

Inhaltlich denkt man, geht es in Lovecraft Country um den Kriegsveteran Atticus Turner, der in einem Amerika der 50er Jahre das Verschwinden seines Vaters Montrose Turner gemeinsam mit seinem Onkel George und der Kindheitsfreundin Letitia untersuchen will. Die Prämisse von Lovecraft Country ist und bleibt sehr gelungen. Gemeinsam reisen diese drei Protagonisten in das sogenannte, von engstirnigen weißen Männern dominierte, Lovecraft Country ein. Die Grundzutaten einer Lovecraft-Story liegen auf dem Silbertablett. Ein relativ gewöhnlicher Protagonist (der zudem Science-Fiction und Horror liebt) gerät aus seinem Alltag in ein übernatürliches Geschehen. Es gibt einen bösen Kult alter Männer, die etwas noch älteres beschwören wollen und die Gesellschaft vermeintlich aus dem Untergrund unterwerfen wollen. Mit den Braithwhites hat man zudem noch die passenden Gegenspieler. Die Wahrheit ist aber, Lovecraft Country ist eine Sammlung von 8 Kurzgeschichten und einem Epilog, die sich stilistisch alle stark voneinander unterscheiden. Die Rollen von Atticus und seiner Kindheitsfreundin sind zudem weitaus unbedeutender, als man denken mag. Während Letitia komplett in der Geschichte untergeht und mehr oder weniger von ihrer Schwester Ruby verdrängt wird, bekommt zumindest Atticus im Showdown noch seinen großen Auftritt.

Das größte Problem von Lovecraft Country ist die Struktur mit den Kurzgeschichten. Um hier nochmal auf das Interview von Matt Ruff zurückzukommen, es war schon immer geplant, selbst bei dem TV Serien-Pitch, die Story so aufzubauen. Ich wusste von dieser Erzählstruktur beispielsweise nichts und gerade, als die erste Story mit dem gleichnamigen Titel "Lovecraft Country" so richtig an Fahrt aufnahm, war sie bereits vorbei. Das Problem, was die nachfolgende Geschichte "Dreams of the Witch House" danach hatte, war, erneut ein Momentum aufbauen zu müssen. Zwar kommen in den einzelnen Geschichten oftmals die gleichen bekannten Gesichter vor und man kann sich schon früh ungefähr vorstellen, am Ende werden all die verschiedenen Geschichten und Ereignisse zu einem großen Event verschmelzen, bis dahin erzählt aber jede POV-Kurzgeschichte ein anderes Schicksal. Und diese Erzählstruktur wirkt nach einer weile ermüdend, weil kein richtiger Plot zustande kommt. Die Hauptcharaktere bleiben größtenteils relativ blass im Bezug auf dieses große, kommende Event und die Intentionen von Caleb Braithwhite als fiesen, aber charmanten Manipulator und Gegenspieler, bleiben relativ undurchsichtig, weil er keine eigene Geschichte hat, aber diese dringend benötigt hätte. Lovecraft Country bleibt sich hier also treu: Sobald es rund geht, endet die Geschichte und eine neue Geschichte muss wieder mühsam einen neuen Charakter-Plot aufbauen, zudem aber auch gleichzeitig ein wenig die Haupthandlung vorantreiben.

Hieraus entwickeln sich aus diesem größten Problem allerdings noch viele kleinere Probleme. Der Roman ist weder Fisch noch Fleisch. Weder ist Lovecraft Country ein gruseliges Dark Fantasy Abenteuer, noch ist das Buch ein waschechtes Rassendrama. Beide Elemente kommen zu kurz und stoßen sich wie zwei Magnete eher ab. Kaum auszumalen, wie gut beides miteinander harmoniert hätte, wenn der ganze Roman eine einzige, fortlaufende Geschichte gewesen wäre. Während die titelgebende Geschichte eigentlich ein relativ guter Prolog war, knickte die zweite Geschichte mit dem Geisterhaus bereits ein. Die nachfolgende Geschichte "Abudllah's Book" besaß Potential, verlor sich aber in vielen Belanglosigkeiten. Danach folgt aber "Hippolyta Disturbs the Universe", eine Geschichte, in der es um die Ehefrau von George geht. Mit Hippolyta hat man nicht nur eine abenteuerlustige, sympathische Protagonistin mit interessanter Backstory die aus ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter schlüpft, es ist auch die, meiner Meinung nach, einzige Geschichte, wo die Genialität von Matt Ruff zum Vorschein kommt. Sie beinhaltet alles, was das Buch gerne die ganze Zeit sein möchte: Ein Abenteuer, welches in einer anderen Welt spielt, Isolation, ein unheimliches Ereignis welches auch die Haupthandlung vorantreibt, unbeantwortete Mysterien und es gibt auch noch ein Monster, welches direkt aus einer Lovecraft Geschichte kommen könnte. Die Geschichte rund um Hippolyta ist für mich der Prototyp dafür, wie Lovecraft Country funktionieren könnte. Wie es nicht funktioniert beweist nämlich direkt die nachfolgende Geschichte "Jekyll in Hyde Park", die sich mit Letitias Schwester Ruby und Caleb Braithwhite befasst. Auch diese Geschichte beginnt noch relativ vielversprechend, wird dann aber von einem furchtbaren Pacing und einer völlig belanglosen Nebenhandlung geplagt. Das Niveau der Hippolyta-Story kann Ruff nicht noch einmal auffahren. Es folgt mit "The Narrow House" eine Geschichte, die die Haupthandlung vorantreibt, ein paranormales Ereignis besitzt und sich zudem noch intensiv mit dem Thema Rassismus auseinandersetzt. Erneut eine Geschichte, die erst auf den letzten Seiten so richtig aus sich herauskommt, aber keine Akzente setzt.
Es folgt mit "Horace and the Devil Doll" eine Geschichte in der Manier von Stephen King, die jedoch Stephen King schon gefühlt 200 mal besser erzählt hat. Die Geschichte "The Mark of Cain" läutet danach den sehr ernüchternden Showdown ein, während der Epilog sich kurz mit den Charakteren nach der Haupthandlung befasst.

Der stets wechselnde Stil sorgt immer wieder dafür, sich als Leser bei jeder neuen Geschichte umstellen zu müssen. Besonders, dass das Buch Dark Fantasy und ein Rassendrama sein möchte, schadet mit Ausnahme der ersten titelgebenden Geschichte und der Geschichte mit Hippolyta allen anderen Stories im Buch, man steht sich gegenseitig im Weg.




Resümee

Lovecraft Country von Matt Ruff ist das perfekte Beispiel, wie ein ambitioniertes Konzept zu übermütig werden kann. Das Buch ist experimentierfreudig und die Charaktere sind gut und glaubhaft geschrieben, einige Geschichten haben sogar Potential, aber letztendlich wollte der Funke nie überspringen. Es ist eine dieser Geschichten, wo man immer wieder einen Wendepunkt erwartet, der alles umkrempelt, dieser aber nie kommt. Am Ende war ich froh, als es vorbei war. Dieses besagte Konzept finde ich, ungelogen, auch weiterhin interessant und hier kommt die noch recht frische, von HBO produzierte TV-Adaption des Buches ins Spiel, die mit einigen Änderungen aufwarten soll. Änderungen, die hoffentlich der sehr ungeschliffenen Natur des Buches zugute kommen. Ja, vielleicht ist Lovecraft Country, wie schon immer vom Autor geplant, eher etwas für den großen Bildschirm. Gut möglich, dass das Konzept als TV-Serie deutlich besser zur Geltung kommt und dann auch das Potential, was es durchaus hat, ausspielt. Als Buch ist Lovecraft Country weder Lovecraft, noch Dark Fantasy und auch kein überzeugendes Rassendrama. Und ich habe das Gefühl, Matt Ruff wollte mit seinem Roman in all diesen Punkten glänzen.

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