Dieses Review enthält moderate Spoiler zum hier besprochenen Film sowie dessen Vorgängern
28 Years Later
Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Alex Garland
Darsteller: Aaron Taylor-Johnson, Jodie Comer, Ralph Fiennes, Alfie Williams
Genre: Horror, Drama
Laufzeit: Circa 115 Minuten
Musik: Young Fathers
FSK: Ab 18
"Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst"
Die bekannte lateinische Phrase Memento Mori spielt neben Themen wie Elternschaft eine zentrale Rolle in 28 Years Later, der erste neue Film aus dem britischen Zombie-Franchise seit sage und schreibe 18 Jahren und insgesamt 23 Jahre nach dem Erstling. In dieser für uns Menschen recht langen Zeitspanne haben wir neben neuen Kriegen und Verwüstung dann auch leider schon eine echte Pandemie miterlebt und kämpfen gefühlt noch immer mit einigen Nachwirkungen. 28 Years Later, erstmals wieder unter der Regie von Danny Boyle und geschrieben von Alex Garland (28 Days Later, Ex Machina, Annihilation) setzt da an ganz anderen Stellschrauben an. Wie lebt es sich in einer Welt, in der immer noch ein tödliches Virus grassiert? Wie adaptiert man sich in dieser Welt? Eine vermeintliche Antwort in dieser Filmreihe gibt es dort nun nach 28 Jahren.
Bereits im Vorfeld hat der Debüt-Trailer vor einigen Monaten für reichlich Diskussionen und zahlreiche Spekulationen gesorgt. In einem beklemmenden Trailer, der von einem Gedicht des britischen Autors Rudyard Kipling begleitet wird (hier vorgetragen vom amerikanischen Theaterschauspieler Taylor Holmes 1878-1959), wurden Fan-Theorien angeheizt, wie der Film die Reihe nun fortsetzen würde. Und nein, besagter Zombie im Trailer war letztendlich nicht Jim aus 28 Days Later. Die Ähnlichkeit wird wohl dennoch nicht rein zufällig gewählt worden sein. Dies ist noch einmal weniger verwundernd, da auch Jim-Darsteller Cillian Murphy (immerhin die Rolle, die in weltweit bekannt machte damals) mit an der Produktion von 28 Years Later beteiligt war. Auch auf die Frage, ob es einen finsteren Kult gibt, der die Toten verehrt, wird es eine Antwort geben, die vielleicht ein wenig ernüchternder ist als das, was man sich nach dem Trailer vorgestellt hat. In Wahrheit hat der Trailer wirklich sehr wenig von dem Film preisgegeben. Mit 28 Years Later ist hingegen ein größtenteils außergewöhnlicher Exkurs in eine fremde, neue Welt entstanden. Ein Film, der das macht, worauf er Lust hat und die Zuschauer mitnimmt auf diese beklemmende, bedrückende, zeitgleich aber auch wunderschöne Reise in eine postapokalyptische Welt.
Gleichzeitig wird aber auch eine Frage beantwortet, die den Vorgänger 28 Weeks Later betrifft. Endete der Film damit, dass das Wut-Virus sich bis nach Frankreich ausgebreitet hat. Diesen Punkt haben Boyle und Garland gemeinsam gestrichen und widerrufen. Weder Boyle noch Garland waren mit Ausnahme kleinerer Feinheiten an 28 Weeks Later beteiligt und hatten somit keine kreativen Freiheiten. Boyle, der als Regisseur unpässlich war da er an Sunshine beschäftigt war, wählte persönlich den spanischen Regisseur Juan Carlos Fresnadillo aus während Garland einige Instruktionen für den Verlauf der Story gab. Boyle äußerte sich zuletzt, der Charme der Reihe würde darin liegen, dass die Geschehnisse komplett im Raum Vereinigtes Königreich spielen würden und was die beiden Vorgänger eindrucksvoll bewiesen hätten. Weder Boyle noch Garland sahen einen Reiz darin, die Story auf andere Teile der Welt auszuweiten und dafür bin ich sehr dankbar, denn ich gehörte bereits damals zu denen, die den Paris-Twist am Ende des zweiten Films nicht wirklich begrüßt hatten. Etwaige Anschlussprobleme hat 28 Years Later dadurch keine, da es für den Film kaum eine Rolle spielt, inwieweit das Virus noch irgendwo anders auf der Welt wütet und wie man es international bekämpft, ob an einem Heilmittel gearbeitet wird (ein weiteres Details aus dem Vorgänger, welches gestrichen wurde, eine natürliche Immunität gegen das Virus) und wieso das Vereinigte Königreich nicht einfach zu einem kompletten Sperrgebiet wird. Man hält sich hier bewusst bedeckt, serviert keine wissenschaftlichen Analysen und verschwendet somit auch keine wertvolle Spielzeit.
Stattdessen geht 28 Years Later wieder zurück zu den Wurzeln der Reihe. War der zweite Teil deutlich actionorientierter, das Ausmaß der Katastrophe bereits globaler geprägt, kehrt 28 Years Later zurück zu den kleineren Einzelschicksalen. In diesem Film dargestellt durch eine kleine Kommune auf einer schottischen Insel, die ihre völlig eigene Parallelgesellschaft gegründet hat. Im Fokus steht hier die Familie rund um Jamie (Aaron Taylor-Johnson), seiner Frau Isla (Jodie Comer) sowie ihr zwölfjähriger Sohn Spike (Alfie Williams). Das derzeitige Familienverhältnis ist angespannt. Isla, geistig völlig verwirrt und anscheinend schwer krank, hat sie nur noch selten klare Momente und ist bettlägerig. Somit dreht sich vorerst ein großer Teil der Geschichte um Jamie und Spike, der seinen Sohn nun das erste mal zum Festland mitnehmen möchte, eine Art Ritual, die Jungs im Teenageralter in dieser Kommune leisten müssen, um später als erwachsene für die Beschaffung von u.a. Rohstoffen zu sorgen. Gemeinsam mit Jamie macht sich Spike, jünger als andere Kinder, die diesen Schritt gehen müssen, auf zum gefährlichen Festland.
Genau schon so wie beim Erstling ist der Plot per se überschaubar komplex und wirkt wenig anspruchsvoll. Viel wichtiger und interessanter sind einmal mehr die zwischenmenschlichen Interaktionen der Charaktere untereinander. Insbesondere das Verhältnis zwischen Spike und seinem Vater und später zu seiner Mutter, zu der er einen deutlich größeren Draht zu haben scheint. Wer hier eine exakte "The Last of Us" Kopie erwartet, wird schnell eines besseren belehrt werden. 28 Days Later ist kein Island-Hopping-Abenteuer zwischen Vater und Sohn, es mündet stattdessen in eine deutlich andere Richtung. Hier möchte ich dann auch einfach nicht zu viel vorwegnehmen. Ist das Schauspiel von Johnson wie auch Comer auf einem enorm hohen Niveau, so darf man sich im späteren Verlauf noch auf eine herausragende Darbietung von Ralph Fiennes freuen.
Stilistisch ist der Film kaum vergleichbar mit 28 Weeks Later. Ähnlich wie 28 Days Later ist 28 Years Later experimentell, jedoch experimentell auf seine eigene Art. Der Film spielt mit vielen Ideen, hier sei jetzt schon gesagt, nicht jede Idee funktioniert aber man ist nicht scheu, so viel wie möglich auszuprobieren und fast immer ist dies lohnenswert für den Film als ganzes wie auch für die Zuschauer. Was nicht bedeutet, dass der Film nicht anecken wird. Dies müssen Boyle und Garland wieder einmal eingeplant haben, denn konventionell ist kein Begriff, mit dem man 28 Years Later beschreiben könnte. Wir erleben hier typische Danny Boyle Momente, die in seinen besten Momenten an Trainspotting erinnern. Gleichzeitig bekommen wir, was den abstrakten, teils surrealen Part des Films angeht, aber auch einiges von Alex Garlands Werken zu sehen. Allen voran den überraschend gelungenen Annihilation.
Mit brillanter Musikuntermalung der Musikgruppe Young Fathers werden wir als Zuschauer auf eine seltsam beklemmende, zeitgleich wunderschöne Reise mitgenommen. Die Landschaftsaufnahmen sind zu jeder Zeit passend, immer mit passender Musik untermalt und erwecken Gefühle von Einsamkeit, Melancholie und Furcht. Und die lauert überall in diesem Film. Überall kreucht und fleucht es, wir nehmen die Geräusche wahr und sehen anschließend grauenhafte Gestalten über den Boden robben oder bizarre Bodybuilder-Infizierte, die wirken, als kämmen sie gerade vom Gewichtheben aus dem Fitnessstudio. Und dabei geizt auch 28 Years Later einmal mehr nicht mit blutigen Effekten, die die hohe Altersfreigabe mehr als einmal rechtfertigen. Die Effekte arten im Gegensatz zum Vorgänger nicht in Splatter-Orgien aus, gehen dafür aber deutlich mehr ins Detail.
In seltenen Momenten verliert der Film dann aber auch mal sein eigentliches Ziel aus den Augen und tröpfelt ein wenig vor sich hin oder aber die Handlungen der Charaktere sind schwer nachvollziehbar. Besonders Momente, wie es einem zwölfjährigen Jungen gelingt, eine gesamte Kommune, stets in Alarmbereitschaft, zu übertölpeln um anschließend wenige Minuten später mit seiner kranken, geistig verwirrten Mutter auf das Festland zu flüchten, obwohl er lediglich einmal zuvor dort war. Dies wirkt unglaubwürdig und vor allem des Filmes unwürdig. Dies sind aber seltene Momente. Fast durchgehend macht 28 Years Later jedoch das beste aus seiner knapp zweistündigen Laufzeit.
Die Kritik bringt mich aber zeitgleich auch ins grübeln. Wir alle wissen mittlerweile, dass es sich hier um einen Zweiteiler handelt. Teil 2 soll wohl bereits abgedreht sein und wird unter der Regie von Nia DaCosta unter Aufsicht von Boyle und Garland entstehen. DaCosta gilt besonders durch ihre Regiearbeit an "The Marvels" als nicht unumstritten, konnte sich aber zuvor einen Namen mit ihrer Neuinterpretation von Candyman machen. Wieso ich hier anfange zu grübeln, ist, wäre 28 Years Later vielleicht eine noch bessere TV-Serie geworden? Es hätte sich im heutigen Zeitalter angeboten. Aber besonders mangels eigenem Streaming-Dienstes dürfte die Option für Sony wohl eher unattraktiv gewesen sein. Generell ist es eine Überraschung, dass Sony den Film in seiner jetzigen experimentellen Form so durchgewunken hat, während ein Film im Stile des zweiten Teils vielleicht noch deutlich mehr Leute in die Kinos gelockt hätte. Und hier mache ich mir jetzt schon Sorgen, ob die Geschichte überhaupt noch Potential für den kommenden zweiten Teil "The Bone Temple" hat, oder ob dem Konzept die Luft ausgehen wird in Filmform. Bereits in diesem Teil bekommt man zu Beginn und den höchst fragwürdigen letzten 5 Minuten einen kleinen Vorgeschmack auf den Titelgebenden "Bone Temple". Auch in einer Zeit, wo es direkte Fortsetzungen im Kino grundsätzlich schwer haben, wird die Herausforderung für 28 Years Later als Filmprojekt sicherlich nicht einfacher. Trotz meiner Bedenken möchte ich zu gerne sehen, wie die Fortsetzung diese Herausforderung meistern wird. Dennoch bleibe ich dabei, dass das Medium TV-Serie für 28 Years Later verführerisch attraktiv gewesen wäre. Die gut geschriebenen Charaktere und Darsteller hätten es nicht nur zugelassen, in diesem Format hätte es auch nochmal deutlich mehr Spielraum für Charaktertiefe geben können.
Fazit
Ich gehe nicht mehr häufig ins Kino. Die Filme werden sorgfältig ausgewählt und dann möchte ich im besten Szenario etwas außergewöhnliches sehen. Dies bekommt man bei Danny Boyle häufig und nur selten weiß man bei ihm, was man überhaupt bekommt (James Bond bekommen wir von Danny Boyle zum Beispiel nicht, auch wenn die Kombi Boyle und Aaron Taylor-Johnson verdammt gut ist). 28 Years Later erfüllt all meine Kriterien für einen außergewöhnlichen Film. Ein Genre-Mix aus Horror, Drama und ein wenig Exploitation, versucht sich der Film in vielerlei Dingen. Wie erwähnt funktioniert nicht immer alles davon, aber das ist auch gar nicht das Ziel eines solchen Films. In einem durchgekauten Genre schaffen es Boyle und Garland nach dem Erstling erneut, die Magie noch einmal neu zu entfachen. Noch einmal etwas anderes zu machen als all die anderen. Was für Romero Diary of the Dead wie auch Survival of the Dead war, ist 28 Years Later für sein ganz eigenes Franchise. Nicht jedem wird das gefallen. Vielleicht wird es für einige auch Liebe auf dem zweiten Blick. Aber ganz sicher wird 28 Years Later für die Mehrheit ein Filmerlebnis sein, welches in Erinnerung bleiben wird. Eine fast schon spirituelle Tour de Force, ein angenehmer wie beklemmender Fiebertraum, der seine Zuschauer absorbiert und bis zum Abspann (oder eben den letzten 5 Minuten) nicht mehr loslässt. Meine Bedenken für die direkte Fortsetzung bleiben aber bestehen, sofern man hier nicht noch irgendwelche ungeahnten Tricks auf Lager haben sollte.
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